XXXV
Er sah älter aus als Novus, war ihm aber doch ähnlich: die gleiche fahle Hautfarbe, die gleiche wohlgenährte Gestalt. Ein massiger Körper mit wuchtigem Schädel und ein bauschiger schwarzer Schnurrbart, der seine Mundbewegungen verbarg.
Er zeigte sich seltsam desinteressiert daran, wer ich war oder was ich hier im Speisezimmer der Familie mit deren Koch zu bereden hatte. Er trat nur wortlos zwischen uns und griff nach der geriffelten blauen Flasche, aus der Viridovix und ich uns bedient hatten. Zum Glück hatte ich zuvor schon meinen Becher auf dem Boden abgestellt, wo er von meinen Füßen verdeckt wurde. Viridovix ließ den seinen unsichtbar in den Falten des Polsterbezugs verschwinden. Der Freigelassene besah sich die Flasche und merkte natürlich, daß sich schon jemand daraus bedient hatte.
»Novus konnte wieder mal nicht warten«, knurrte er.
Ich rückte von Viridovix ab. »Verzeihen Sie, mein Herr, sind Sie Crepito?«
»Felix.« Pollias Ehemann. Er starrte immer noch stirnrunzelnd auf die Flasche, deren niedrigen Pegelstand er Hortensius Novus anlastete. Weder Viridovix noch ich klärten ihn über seinen Irrtum auf.
»Ich bin Marcus Didius Falco, hier im Auftrag Ihrer Gattin …« Unmöglich, festzustellen, ob er etwas wußte. »Falls Hortensius Crepito greifbar ist, dürfte ich Sie dann beide um eine dringende Unterredung bitten?«
Er hob die Flasche. »Spitzenjahrgang! Crepito und Novus wollten beide gleich nachkommen.«
»Novus wird nicht kommen, mein Herr. Es ist etwas vorgefallen. Kann ich Sie ungestört sprechen – und wenn möglich auch Crepito?«
Immer noch mehr mit der Flasche beschäftigt als mit meiner rätselhaften Andeutung, zuckte Felix die Achseln und ging mit mir hinaus.
Die drei Freigelassenen hatten ausgemacht, sich in einem kleinen Zimmer auf der anderen Seite des Saals zu treffen und dort ihren Falerner zu verkosten. Schon wieder ein neuer Raum für mich; diesmal einer, der in Exotik schwelgte: Bilder vom Nil, Fächer, kleine Statuen von Ibis-köpfigen Gottheiten, grellbunt gestreifte Kissen und Elfenbeinsofas mit Sphinxen als Armlehnen.
»Unser ägyptischer Salon.« Felix bemerkte, wie ich einen Schritt zurücktrat. »Gefällt er Ihnen?«
»Jedes Haus sollte einen haben!« So nötig wie ein Wespennest oder eine Tür, die nicht richtig schließt.
Hinter uns zogen neue Knoblauchschwaden auf: Crepito, der offenbar auf der Suche nach Novus gewesen war. »Ich kann ihn nicht finden. Wo steckt dieser Dummkopf nur?«
Zwar hatte Pollia mir versichert, daß die drei Freigelassenen nicht blutsverwandt waren, aber nachdem ich nun alle drei gesehen hatte, stand für mich fest, daß sie alle demselben Volksstamm angehörten. Crepito hatte einen kleineren Schnurrbart als Felix und nicht Novus’ Körperfülle, dafür aber eine lautere, derbere Stimme als beide zusammen. Doch auch an ihm entdeckte ich das ausgeprägte schwärzliche Kinn und das reizbare Temperament der anderen. Novus war anscheinend der jüngste des Trios gewesen.
Ich stellte mich zum zweitenmal vor. »Hortensius Crepito? Ich bin Didius Falco, im Dienste Ihrer Gattin.« Crepito grunzte etwas, das ich als Aufforderung nahm, fortzufahren. »Ich bedaure, der Überbringer dieser traurigen Nachricht zu sein, aber Hortensius Novus hatte einen Unfall – einen Unfall mit tödlichem Ausgang.«
Beide zeigten sich angemessen überrascht. »Unmöglich! Wir waren doch eben noch mit ihm zusammen …« Das kam von Crepito.
»Ich habe ihn gefunden«, erklärte ich ruhig. »Er muß, unmittelbar nach Ihrem Bankett heute abend, einem Anschlag erlegen sein.«
Die beiden Freigelassenen wechselten einen Blick. »Sie meinen …«
»Ja, es sieht ganz so aus, als ob man ihn vorsätzlich vergiftet hätte.«
»Aber wie?« fragte Felix mit der Dringlichkeit eines Mannes, dem mit Schrecken bewußt wird, daß er das gleiche gegessen hat wie der Ermordete.
Ich beruhigte die beiden mitfühlend. »Was Hortensius Novus zum Verhängnis wurde, hat offenbar sehr, sehr schnell gewirkt. Falls noch jemand betroffen gewesen wäre, hätte sich das inzwischen bestimmt schon herausgestellt.«
Trotz meines Zuspruchs setzte Felix die geriffelte blaue Flasche auf einem Tischchen ab und trat hastig beiseite.
Wenn ich doch Felix und Crepito schon früher kennengelernt hätte! Fremden etwas mitzuteilen ist immer unbefriedigend. Jedenfalls läßt sich nur sehr schwer beurteilen, wieweit ihre Reaktion auf Schock beruht – und wieviel von diesem Schock echt ist.
Hortensius Felix brütete stumm vor sich hin. Crepito dagegen verlangte nach Einzelheiten, und so schilderte ich ihm, wie ich Novus tot auf dem gefliesten Boden des Klosetts gefunden hatte, wo er immer noch lag. »Es wäre vielleicht ratsam«, schlug ich vor, »die Behörden zu verständigen, bevor Sie ihn wegschaffen lassen.«
»Ist das normal?« mischte Felix sich unvermittelt ein. »Ich meine, zieht man normalerweise in so einem Fall die Polizei hinzu?« Unter seelischem Druck verriet sich zum ersten Mal, daß die Freigelassenen aus einem anderen Kulturkreis zu uns nach Rom gekommen waren.
»Es empfiehlt sich hier, besonders verantwortungsvoll zu handeln, Hortensius Felix. Bei Mordverdacht wendet sich der Haushaltungsvorstand in der Regel von sich aus an den Prätor, statt zu warten, bis der seine Ädilen vorbeischickt, weil die Nachbarn ihm einen Wink gegeben haben.«
»Aber die Leute werden doch nicht …«
»Die Leute werden!« versetzte ich mit Nachdruck. »Erwarten Sie keine Solidarität von denen, die Sie an Ihrem Tisch bewirtet haben, wenn erst einmal häßliche Gerüchte die Runde machen.« Wieder wechselten die beiden einen Blick. »Ich weiß wohl, daß Hortensius Novus Ihnen wie ein Bruder war«, sagte ich einlenkend. Sie reagierten darauf merklich reserviert. Ich hatte zunehmend das Gefühl, mit Ausländern zu verhandeln, und glaubte, sie noch weiter beruhigen zu müssen. »Ich will doch nur Ihr Bestes. Falls Fluchtverdacht besteht, sollten Sie nach den Wachen schicken und den Mörder verfolgen lassen. Aber Giftmischer vertrauen normalerweise darauf, unentdeckt zu bleiben; also machen sie ein unschuldiges Gesicht und rühren sich nicht vom Fleck. Wenn Sie Meldung machen, können Sie sicher sein, daß die Beamten des Magistrats gleich morgen eine Untersuchung vornehmen werden. Und dann wird man den Fall mit mehr Feingefühl behandeln …« Ich meinte natürlich höfliche Inkompetenz.
»Und was werden Sie tun?« fragte Felix brüsk.
»Ich kann weiterhin privat für Sie ermitteln. Ich bin so zornig über dieses Mißgeschick, daß ich den Prätor womöglich auf die rechte Fährte prügeln könnte.« Ich hoffte, daß Crepito und Felix als Geschäftsleute vielleicht den Namen des zuständigen Prätors kennen würden, aber ich hatte Pech. »Ich habe das Unglück nicht verhindern können«, sagte ich eindringlich. »Aber ich werde nicht ruhen, bis ich den Giftmischer entlarvt habe. Severina erscheint mir als die Hauptverdächtige. Also werde ich sie als erste vernehmen. Ich hörte mit Erstaunen, daß sie heute abend zwar geladen, aber nicht anwesend war?«
»Sie hat sich bei Novus unter irgendeinem Vorwand entschuldigt«, sagte Felix.
»Aber früher am Tage war sie doch mal hier?« Felix und Crepito zuckten beide die Achseln. »Na, wenn sie glaubt, sie sei schon entlastet, nur weil sie nicht am Tatort war, dann werde ich die junge Dame mal aufklären!« Wieder erfolgte ein rascher Augenkontakt zwischen den beiden Freigelassenen.
Das anschließende peinliche Schweigen gab mir das Signal zum Aufbruch. »Tja, dann mach ich mich mal auf den Weg … Oder sollte ich zuvor noch mit Sabina Pollia und Hortensia Atilia sprechen?« Ich hätte gar zu gern die erste Reaktion der Damen auf die Tragödie miterlebt.
»Nicht nötig«, erwiderte Felix so schroff, daß es fast schon feindselig wirkte. Und wie um seiner Abfuhr Nachdruck zu verleihen, zog er an der Klingel.
»Auch gut! Nun, ich komme ja in jedem Falle morgen wieder. Ich möchte doch persönlich kondolieren … Ach, übrigens«, fragte ich, schon im Gehen, beiläufig, »war die Stimmung zwischen Ihnen und Novus heute abend eigentlich gut?«
Zum ersten Mal vermieden sie es, sich anzusehen; ja, die Verbissenheit, mit der jeder geradeaus blickte, war in sich schon verdächtig. Und dann versicherten mir beide feierlich, daß es ein entspanntes, harmonisches Zusammensein gewesen sei.
Dank Viridovix wußte ich, daß sie schwindelten. Was eine interessante Frage aufwarf: Warum?
Ich nahm an, daß es in dieser Nacht noch eine lebhafte Debatte im Hause Hortensius geben würde. Und ich hätte dabei furchtbar gern Mäuschen gespielt. Vor allem interessierte mich die Rolle meiner beiden Klientinnen.
Doch einstweilen hatte ich an etwas anderem zu knobeln: Wie sollte ich Severina mit dem Verbrechen konfrontieren?
Erst als ich schon südwärts stiefelte und mich zwischen den vielen Lieferwagen durchzuschlängeln suchte, ohne daß mir ein Karrenrad die Zehen zerquetschte, erst da nahm ein Gedanke, auf den ich mich in all dem Trubel noch gar nicht recht eingelassen hatte, Gestalt an: Was hatte dieser Mord für einen Sinn?
Hortensius Novus war zu früh gestorben. Für Severina bestand keine Hoffnung, ihn zu beerben, solange sie nicht seine Frau war. Beim jetzigen Stand der Dinge konnte sie von Glück sagen, wenn man ihr einen Korb Äpfel mitsamt besten Wünschen überließ. Was führte dieses Frauenzimmer im Schilde?
XXXVI
Die Abakusstraße lag schon fast im Dunkeln. Ein paar matte Lichter brannten zwar noch, aber die Passage zu Severinas Wohnung war stockfinster; ich stieß mir den Zeh an einem Eimer, den der Käsehändler draußen vergessen hatte. Das Haus wirkte wie ausgestorben.
Es dauerte eine geschlagene Viertelstunde, bis ich einen von Severinas Sklaven geweckt hatte. Ich wollte mich diskret bemerkbar machen, konnte aber bloß immer wieder mit dem metallenen Klopfer gegen die Tür hämmern. Der Lärm muß über den ganzen Caelimontium gehallt sein, aber niemand schlug die Läden zurück, um nachzuschauen, was es gebe, oder sich zu beschweren. Welch ein Gegensatz zu den intoleranten Stoffeln, an die ich vom Aventin her gewöhnt war!
Der Sklave erkannte mich; er verlor kein Wort über die unziemliche Stunde. Vielleicht gab es ja noch andere Männer, die Severina spätnachts aufsuchten. Als er mich einließ, regte sich nichts im Haus, es brannten nur wenige Lampen, anscheinend waren schon alle zu Bett gegangen.
Der Sklave ließ mich in dem Zimmer warten, wo Severina und ich uns zum ersten Mal begegnet waren. Bei der Arbeit am Webstuhl hatte das Muster gewechselt. Mein Blick fiel auf eine Bibliotheksrolle auf einem Diwan: eine Abhandlung über Mauretanien. Das interessierte mich nicht. Ich lauschte auf die Geräusche aus dem Innern des Hauses.
Der Sklave steckte den Kopf durch den Türvorhang. »Sie kommt gleich«, knurrte er schlecht gelaunt.
»Danke. Ach, übrigens, haben Severina und Novus eigentlich schon den Hochzeitstag festgesetzt?«
»In zehn Tagen ist’s soweit.«
»Und wann wurde das beschlossen?«
»Anfang der Woche.«
»Dann könnte Novus es heute abend also offiziell bekanntgegeben haben?«
»Sie kommt gleich runter!« wiederholte der Sklave und musterte mich spöttisch. Er hatte erkannt, daß ich meine Fragen bloß ins Blaue abfeuerte.
Ich hörte sie nicht kommen.
Sie war so hergerichtet, als hätte der Sklave sie wirklich aus dem Bett geholt: bloße Füße; nackte Arme über einem kurzen weißen Unterhemdchen; das Gesicht leicht verquollen; das üppige Kupferhaar aufgelöst über den Rücken wallend. Sie hatte womöglich im Bett gelegen, aber hellwach, in Erwartung des Boten, der ihr die Nachricht bringen würde.
»Sie werden einiges zu erklären haben, Zotica!« Sie hielt meinem prüfenden Blick stand, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich hatte es nicht anders erwartet. Dieses Früchtchen würde sich nicht ins Bockshorn jagen lassen. »Novus ist tot.«
»Novus?« wiederholte sie rasch, stockte und sah mich verwirrt an.
»Wußten Sie’s schon?«
»Tot?« stammelte sie.
»Nur immer so weiter, Zotica!« höhnte ich gehässig. – Severina schnappte empört nach Luft. »Müssen Sie denn so gemein sein?« Sie kam näher, beide Hände zum Gesicht erhoben. »Was ist geschehen? Erzählen Sie der Reihe nach.«
»Ich habe Ihren Verlobten heute abend mit dem Gesicht nach unten in einer Toilette gefunden. Vergiftet, Severina. Nun sagen Sie bloß nicht, das käme überraschend für Sie.«
Sie biß sich auf die Lippen, als ich Einzelheiten nannte, aber sie wurde langsam wütend. Ausgezeichnet. Sie ging hinüber zum Diwan und setzte sich, scheinbar zitternd, nieder. »Wie spät ist es, Falco?« Ich hatte keine Ahnung. »Man fragt immer dann nach der Zeit«, murmelte sie geistesabwesend, »wenn Zeit keine Rolle mehr spielt …«
Ich fiel nicht auf die schmerzerfüllte Miene rein. »Schluß jetzt mit dem Theater! Wieso waren Sie nicht auf dem Bankett?«
Ein Schatten fiel über ihr Gesicht. »Ich fühlte mich nicht wohl, Falco. Frauenbeschwerden.« Ihr Kinn reckte sich trotzig vor, als sie demonstrativ die Arme um den Leib legte. »Sie wissen schon, was ich meine!«
»Sollte ich mich nicht eher genieren, nachzufragen? Aber da haben Sie sich verrechnet! Ich bin mit fünf Schwestern aufgewachsen, Zotica. Unsere Victorina zum Beispiel war eine grandiose Schauspielerin – sie konnte ›ihre Tage‹ auf drei Wochen ausdehnen, besonders, wenn ein langweiliges religiöses Fest anstand, vor dem sie sich drücken wollte.«
»Ich war heute nachmittag auf dem Pincio«, versetzte Severina schroff. »Aber dann sah ich mich doch nicht imstande, einen ganzen Abend lang steife Höflichkeiten mit Leuten zu wechseln, die aus ihrer Abneigung gegen mich keinen Hehl machen …«
»Ja, ich kann mir denken, daß es Mut gekostet hätte – entspannt neben Ihrem Opfer in den Polstern zu lehnen, während der arme Teufel die vergiftete Sauce kostet!«
»Das ist übelste Verleumdung, Falco! Ich bin bloß dem Koch zuliebe hingegangen. Seit die Einladungen raus sind, macht Novus den armen Kerl nervös …« Mir fiel auf, daß sie im Präsens sprach, wie Trauernde es nach einem wirklich schmerzlichen Verlust tun: ein raffinierter Schachzug! »Dieses Bankett war eine große Verantwortung für Viridovix!«
»Wie ist Novus nur auf die verrückte Idee verfallen, sich einen gallischen Koch zu kaufen? Wenn es schon ein Küchenchef vom anderen Ende des Reiches sein muß, dann holt man ihn sich doch wenigstens aus Alexandria?«
»Sie kennen die Familie ja inzwischen – der in Knechtschaft geratene Barbarenhäuptling hat sie eben gereizt.«
»Eine Rarität ist er gewiß: Der Mann macht aus allem das Beste.« Ich sah, daß dieses kleine Ablenkungsmanöver bei ihr nichts ausrichtete, und so gab ich es auf. »Erzählen Sie mir was über das Bankett heute abend. Wozu der große Aufwand? Und wer war der illustre Gast?«
»Appius Priscillus.«
Im ersten Moment wußte ich mit dem Namen nichts anzufangen. »Ah, der Immobilienhai! Der Herr, der wehrlose alte Obsthändler verprügeln läßt. Was hat denn der mit den Hortensii zu schaffen?«
»Gemeinsame Geschäftsinteressen. Mietwohnungen, Grundstücke, Bodennutzung. Doch die Beziehungen zwischen ihren beiden Imperien hatten sich in letzter Zeit drastisch verschlechtert. Da sie nun aber durch fortgesetzte Rivalität gegen die eigenen Interessen verstoßen hätten, wurde dieses Fest veranstaltet, auf dem man den Streit beilegen wollte.«
»Von wem stammte denn dieser Vorschlag?« fragte ich drohend. Ich kannte die Antwort bereits.
»Von mir. Aber ursprünglich war’s Ihre Idee, Falco, die Streithähne zusammenzubringen …« Severina stockte und bat dann unvermittelt: »Entschuldigen Sie mich einen Moment, ja?« Sie sah aus, als ob ihr jeden Moment schlecht werden würde.
Sie schlüpfte aus dem Zimmer. Ich gab ihr ein paar Minuten, dann ging ich ihr nach.
Meine Spürnase führte mich in eine Kammer neben dem geschmackvollen Triklinium, wo wir mit Novus zu Mittag gegessen hatten. Severina stand reglos im Dunkeln. Ich hob die Lampe, die ich mit hereingebracht hatte. »Fehlt Ihnen etwas?«
»Mir geht so viel im Kopf herum … es dreht sich alles.«
Ich trat behutsam näher. »Zotica?« Ihre tiefe Versunkenheit und der starre Blick waren Anzeichen echter Erschütterung. Jetzt hob sie eine Hand an die Stirn, und im nächsten Moment begann sie zu weinen.
Ich kämpfte meinen Verdruß nieder und knurrte: »Die erste Regel für einen Detektiv lautet: Eine Frau, die in Tränen ausbricht, führt nichts Gutes im Schilde.«
»Dann gehen Sie solchen Frauen doch aus dem Weg!« fauchte Severina. Ich faßte sie mit zwei Fingern am Ellbogen und führte sie zu einem Diwan. Sie setzte sich folgsam hin und begann, mit abgewandtem Gesicht zu schluchzen. Ich hockte mich daneben und ließ sie weinen. »Es tut mir leid«, flüsterte sie endlich und beugte sich vor, um sich mit dem Zipfel ihres Hemdchens das Gesicht zu wischen. Ich erhaschte einen flüchtigen Blick auf ein Knie, was mich seltsam erregte.
Sie atmete schwer, als versuche sie, mit einem unerwarteten Problem zu Rande zu kommen. Natürlich spielte sie Theater. Es konnte gar nicht anders sein. Ich erinnerte mich, daß Lusius, der Schreiber des Prätors, gesagt hatte, Severina sei normalerweise in Streßsituationen sehr beherrscht, und ich hielt Freund Lusius für einen scharfen Beobachter. Trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, daß ihre Erschütterung zum Teil echt war.
»Hoffentlich haben Sie eine Geschichte für den Ermittlungsrichter parat.« Sie starrte immer noch wie in Trance vor sich hin. »Noch besser wäre es«, schlug ich vor, »Sie erzählen dem guten Onkel Marcus, was sich zugetragen hat, und lassen ihn die Sache regeln.«
Severina streckte seufzend ihre winzigen Füßchen aus. Die Füße und das, was ich von ihren Beinen sehen konnte (mehr als üblich), waren voller Sommersprossen; die Arme ebenso. »Ach, geben Sie’s doch auf, Falco!«
»Sie wollen also nicht mit mir reden?«
»Wenn ich Novus vergiftet habe, ganz bestimmt nicht!«
»Und? Haben Sie’s getan?«
»Nein! Juno und Minerva – wenn ich bloß hinter seinem Geld hergewesen wäre, was hätte es dann für einen Sinn gehabt, ihn vor der Hochzeit zu ermorden?«
»Das habe ich mich auch schon gefragt.«
»Phantastisch! Und was für eine hirnrissige Erklärung ist Ihnen dazu eingefallen?«
»Ich bin sicher, daß Sie ihn umgebracht haben – aber ich habe keinen blassen Schimmer, warum.«
Sie sprang auf. »Didius Falco, Sie haben kein Recht, mich zu belästigen! Entweder verhaften Sie mich, oder Sie verschwinden …«
»Was haben Sie vor, Zotica?«
»Ich hole mir jetzt einen Krug Wein aus dem Speisezimmer – und dann werde ich mich betrinken!«
Mein Herz pochte warnend – aber ich sagte mir, das sei vielleicht meine einzige Chance, Severina zu einer unbedachten Äußerung zu verleiten. »Ach, setzen Sie sich wieder hin! Ich hole den Krug. Und glauben Sie einem Experten: Betrinken kann man sich rascher und sehr viel lustiger, wenn einem ein Freund dabei hilft!«
XXXVII
Warum mache ich sowas nur? (Warum macht’s überhaupt jemand?)
Auf einem Büfett fand ich Becher und eine halbvolle Amphore mit einem Gebräu, das gallig genug schmeckte für die Art vorsätzliches Besäufnis, das unweigerlich in Übelkeit endet. Severina holte einen Krug frisches Wasser. Auf Gewürze verzichteten wir. Unser gegenseitiger Argwohn würde bei Bedarf schon für ein bitteres Aroma sorgen.
Wir ließen uns auf dem Boden nieder und lehnten uns gegen einen Diwan. Anfangs tranken wir schweigend.
Auch nach fünf Jahren als Privatermittler brachte mich der Anblick einer Leiche immer noch aus dem Gleichgewicht. Ich ließ mich widerstandslos von den bedrückenden Bildern überfluten: Novus, mit bloßem Hintern, in unwürdigem Krampf erstarrt. Novus, das Gesicht auf die Fliesen gepreßt, die Züge von wahnsinniger Angst verzerrt …
»Ist Ihnen nicht gut, Falco?« fragte Severina leise.
»Ich hab was gegen Mord! Soll ich Ihnen die Todesszene beschreiben?«
Ich sah, wie ihre Fingerknöchel weiß wurden, so fest umklammerte sie ihren Keramikbecher. »Nur zu, vielleicht kann ich’s ertragen.«
Das Schlimmste hatte ich ihr bereits erzählt. Also ersparte ich mir weitere Details.
Severina schenkte mir nach. Zuvor hatten wir uns jeder selbst bedient – diese Situation vertrug sich nicht mit höflichen Gesten. Es war, als ob ich mit einem Mann trinken würde.
»Machen Sie sowas oft?« fragte ich.
»Nein! Und Sie?«
»Nur, wenn die Erinnerung an das Kopfweh vom letzten Mal sich verflüchtigt hat …«
»Wenn wir uns schon zusammen betrinken, soll ich Sie dann nicht lieber beim Vornamen nennen?«
»Nein.«
Sie nuckelte einen Moment am Daumen. »Ich dachte, Sie wären mein lieber Onkel Marcus?«
»Ich bin Falco – und ich bin nicht lieb!«
»Verstehe – blau, aber auf Distanz!« Sie lachte. Jedesmal, wenn Severina lachte, klang es arrogant – und das reizte mich. »Ich glaube, Sie und ich, wir haben mehr gemeinsam, als Sie zugeben wollen, Falco.«
»Gar nichts haben wir gemeinsam!« Ich goß mir nach. »Novus ist tot. Was nun, Zotica?«
»Nichts.«
»Was war das falsche Wort, pardon! Wer hätte ich fragen sollen.«
»Ach, seien Sie doch nicht so ekelhaft!« schalt sie – doch sie sagte es mit einem leisen Lächeln und einem Glitzern hinter den hellen Wimpern. In Wahrheit forderte sie mich zu noch schärferen Fragen heraus. Das Verhör war ein Nervenkitzel für sie.
Ich war nicht so dumm, mich von einer Verdächtigen provozieren zu lassen, die für ihr Leben gern im Mittelpunkt stand. Statt dessen reckte ich mich träge und fragte obenhin: »Also niemals wieder, hm? Klingt ganz wie das, was ich immer zu sagen pflegte, wenn ein ausgefuchstes Flittchen mit meinem Geld verschwunden war und mich mit gebrochenem Herzen zurückgelassen hatte.«
»Pflegte? Vergangenheitsform?« hakte Severina sofort nach, unfähig, ihre Neugier zu bezähmen.
»Bin langsam zu alt dafür. Diese koketten Mäuschen wollen einen Jüngling, der im Bett Rekorde schlägt und sich ansonsten von ihnen schurigeln läßt …«
»Sie kommen ja richtig ins Schwärmen, Falco!« Es klang so gereizt, als hätte plötzlich etwas ihren Argwohn angefacht. »Warum können Sie nie offen und ehrlich beim Thema bleiben?«
»Weil mich das langweilt«, gestand ich. »Ist das ehrlich genug?«
Wir prusteten beide los.
Severina saß mit gekreuzten Beinen und hielt den Rücken kerzengerade. Sie war links von mir. Also konnte ich bequem das rechte Knie anwinkeln, als Stütze für meine Becherhand, aber auch, um mich leicht einwärts zu drehen und sie unauffällig zu beobachten.
Sie füllte gerade wieder ihren Becher. »Ich trinke mehr als Sie!«
»Das habe ich schon gemerkt.«
»Sie wollen nüchtern bleiben, damit Sie mir meine Geheimnisse entlocken können …«
»Ich mag geheimnisvolle Frauen …«
»Aber mich mögen Sie nicht! Also hören Sie auf mit den Geschichten! Ich hätte fragen sollen«, begann sie aufs neue ein, wie sie wohl meinte, gewitztes Aushorchmanöver, »ob daheim jemand auf Sie wartet?«
»Nein.« Ich leerte meinen Becher. Dieser kräftige Zug wirkte drastischer als vorgesehen; ich wäre beinahe erstickt.
»Sie setzen mich in Erstaunen!« spottete sie mit leiser Stimme.
Als der Hustenanfall vorbei war, keuchte ich: »Sie hatten neulich ganz recht; ich habe mich übernommen.«
»Ach? Erzählen Sie!«
»Da gibt’s nicht viel zu erzählen. Einer von uns beiden sehnt sich danach, seßhaft zu werden und eine Familie zu gründen; der andere mag sich nicht binden.« Severina sah aus, als hätte sie den Witz nicht verstanden. »Frauen sind so wankelmütig!« klagte ich. »Sie scheuen sich vor der Verantwortung …«
»Und wie wollen Sie sie rumkriegen?« Severina spielte jetzt mein Spiel mit, wenn auch auf spöttische Distanz.
»Ich hab so meine Methoden.«
»Ihr Männer seid doch ein verschlagenes Volk!«
»Wenn sie erst mal spitzkriegt, wie toll ich kochen kann und was ich für ein anschmiegsames, liebenswertes Wesen habe, dann wird sie schon weich werden …«
»Hilft Sie Ihnen bei Ihrer Arbeit?«
»Das haben Sie mich schon mal gefragt. Nein, ich halte sie aus meiner Arbeit raus.«
»Ich dachte nur, daß Sie sie vielleicht losschicken, um Leute an Orten zu beschatten, die Sie nicht betreten können.«
»Ich würde sie niemals irgendwohin lassen, wo ich nicht selbst hin könnte.«
»Wie rücksichtsvoll!« sagte Severina.
Wir hatten beide aufgehört zu trinken und stierten mit Philosophenmiene ins Leere. Der frisch gekelterte Rebensaft im Verein mit dem feurigen Falerner, den ich zuvor verkostet hatte, gar nicht zu reden von den süffigen Tischweinen, die im Palast kredenzt worden waren, wirkte so durchschlagend, daß ich bezweifelte, ob meine Beine mir im entscheidenden Augenblick noch gehorchen würden. Auch Severina atmete jetzt schläfrig.
»Eine Nacht der Enthüllungen!«
Ich grunzte gereizt. »Bislang aber ziemlich einseitig! Laut Plan wollte ich den Mitteilsamen markieren, damit Sie auftauen und sich zu einem Geständnis verleiten lassen …«
»Laut Plan, Falco? Mir werden Sie mit einem so plumpen Trick, wie mich betrunken zu machen, kein Geständnis abluchsen!«
»Betrunken haben Sie sich ganz ohne mein Zutun.«
»Ich hasse es, wenn Sie so logisch daherreden.«
»Und ich hasse es, wenn Sie – ach, vergessen wir’s!« Ich seufzte. »Ich bin zu müde für dieses Hickhack.«
»He, Sie schlafen ja ein!« Severina gluckste vor Vergnügen. Vielleicht war ich eingenickt. Vielleicht wollte ich ihr das auch bloß weismachen. (Vielleicht wußte ich nicht mehr, was ich tat.)
Als ich keine Antwort gab, ließ sie stöhnend den Kopf zurücksinken. Dann zog sie den roten Jaspisring mit den beiden verschlungenen Händen vom Finger. Sie warf ihn mit gequältem Lächeln in die Luft, fing ihn wieder auf und legte ihn neben sich auf den Boden. Mir war, als ob ein Funke aus dem Edelstein sich glitzernd in ihrem Haar finge. Wie sie sich des Rings entledigte, war nicht ungehörig oder respektlos, setzte aber gleichwohl einen deutlichen Schlußstrich unter das Verlöbnis mit Novus. »Jetzt bleibt nichts mehr zu tun übrig … keiner mehr, der mich braucht … keiner, bei dem ich Halt suchen kann … Wozu das Ganze, Falco?«
Der Ring, den sie abgestreift hatte, schien beinahe so schwer wie der von Novus: viel zu wuchtig für Severinas zarte Kinderhände. »Denken Sie an den Profit, Gnädigste! Der Ring da ist immerhin aus purem Gold!«
Severina rollte das Kleinod geringschätzig über den Mosaikboden. »Gold nutzt sich ab. Wie die Liebe, die es angeblich symbolisiert.«
»Und die mitunter auch hält.«
»Glauben Sie das wirklich?« fragte sie. »Und Ihre ach so großartige Freundin, glaubt die auch daran?«
Ich lachte. »Die ist Realistin. Die geht auf Nummer Sicher und hält mich an der kurzen Leine.«
Nach einer kleinen Pause hob Severina die rechte Hand und zeigte mir den billigen Ring mit der primitiv gestanzten Venus und dem kleinen Klecks, der den an ihre Knie geschmiegten Amor vorstellen sollte. »Kupfer dagegen«, raunte sie geheimnisvoll, »ja, das ist für die Ewigkeit!«
»Demnach wäre die Ewigkeit billig zu haben! Wußten Sie, daß Kupfer nach den Bergen Zyperns benannt ist, wo das Erz gewonnen wird?« Ja doch, ich sammele solch merkwürdige Fakten. »Zypern wiederum ist der Geburtsort der Venus – so wurde Kupfer zum Metall der Liebe …«
»Man kriegt seelischen Grünspan davon, Falco!« flüsterte sie.
»Dagegen sollten Sie einen Arzt konsultieren.« Ich dachte nicht daran, sie um Aufklärung zu bitten. Wenn eine Frau die Rätselhafte spielen will, ist unsereiner machtlos. »Wer hat Ihnen denn den Kupferring verehrt?«
»Jemand, der mit mir in der Sklaverei war.«
»Und hat dieser Jemand auch einen Namen?«
»Nur bei den Schatten in der Unterwelt.«
Ich lächelte bitter. »Wie so viele Ihrer Freunde!«
Severina beugte sich vor und griff nach der Amphore. Ich hob abwehrend die Hand, aber sie teilte den Rest Wein redlich zwischen uns auf.
Als sie sich wieder zurücklehnte, rutschte sie ein kleines Stückchen näher. Wir tranken langsam, beide in jenes dumpftrübe Brüten versunken, das der Betrunkene für Tiefgang hält.
»Ich geh jetzt wohl besser.«
»Wir können Ihnen auch ein Bett anbieten.«
Was ich dringend brauchte, war ungestörter Schlaf. In diesem Haus würde ich die ganze Nacht wachliegen und darauf warten, daß sich eine mechanische Zimmerdecke niedersenkte, um mich zu zermalmen … Ich schüttelte den Kopf.
»Trotzdem danke, daß Sie mir Gesellschaft geleistet haben.« Severina preßte die Lippen zusammen wie ein armes, verlassenes Mädchen, das versucht, tapfer zu sein. »Heute nacht habe ich wirklich jemanden gebraucht …«
Ich wandte den Kopf. Sie auch. Es fehlten nur zwei Fingerbreit, und ich hätte sie geküßt. Sie wußte es und machte keine Anstalten, mir auszuweichen. Ich wußte, was passieren würde, wenn ich sie küßte: Ich würde anfangen, mich verantwortlich zu fühlen.
Auf den Diwan hinter mir gestützt, hievte ich mich hoch.
Severina rappelte sich ebenfalls auf, wobei sie mir haltsuchend die Hand hinstreckte. Der Wein und die plötzliche Bewegung machten uns beide schwindlig. Sekundenlang taumelten wir gegeneinander, immer noch Hand in Hand.
Wäre es Helena gewesen, ganz von selbst hätte ich sie in die Arme genommen. Severina war kleiner; ich hätte mich bücken müssen. Sie war übrigens keins von diesen vogelartigen, knochigen Geschöpfen, bei denen ich immer Gänsehaut kriege; unter ihrem losen Hemdchen erkannte ich vielmehr einladende Rundungen. Ihre Haut war rein und weich und duftete verführerisch nach einem seltsam vertrauten Öl. Im Lampenschein und aus nächster Nähe strahlten ihre wintergrauen Augen plötzlich tiefblau. Wir wußten beide, was ich dachte. Ich war gelöst und dementsprechend empfänglich. Ich hatte Sehnsucht nach meiner Herzensdame; auch ich brauchte Gesellschaft.
Sie versuchte nicht, sich auf die Zehen zu stellen. Sie wollte die Entscheidung – und die Schuld – ganz allein mir aufbürden.
Zu müde und zu beschwipst, um noch klar denken zu können, suchte ich nach einer Möglichkeit, mich leidlich taktvoll aus der Affäre zu ziehen. »Kein guter Einfall, Zotica.«
»Nicht aufgelegt?«
»Schon zu weit hinüber«, schummelte ich galant. In Wahrheit fühlte ich mich so erschöpft, daß ich leicht auf alles hätte eingehen können, was sich in der Horizontale bewerkstelligen ließ.
»Kaum zu glauben!« antwortete sie, und das klang ziemlich gehässig.
Ich schaffte es, wenn auch mit starker Schlagseite, bis nach Hause.
Seit Anacrites mich hatte festnehmen lassen, war ich nicht mehr in die neue Wohnung in der Piscina Publica gekommen. Wie tröstlich wäre es gewesen, eine Nachricht von Helena Justina vorzufinden: als kleinen Hinweis darauf, daß sie Sehnsucht nach mir hatte, als Belohnung für mein Vertrauen. Aber da war nichts.
Freilich konnte ich es einer Senatorentochter kaum verargen, daß sie zu stolz war, den ersten Schritt zu tun. Und nachdem ich erklärt hatte, ich würde warten, bis sie sich rührte, kam ein Annäherungsversuch meinerseits erst recht nicht in Frage …
Ich verfluchte die Weiber und ging zu Bett.
Severina wollte nicht mich; sie wollte, daß ich sie begehrte, und das war nicht dasselbe.
Im übrigen würde es nie und nimmer so weit kommen, dachte ich wütend (denn inzwischen hatte der Alkohol mich aggressiv gemacht), daß ich wegen einem Paar kühler grauer Augen das Mädchen vergaß, das mich wirklich in Rage brachte; das Mädchen, an das ich denken wollte; das Mädchen, dessen braune Augen einmal so deutlich gesagt hatten, sie wolle mich …
Um meiner Verzweiflung Luft zu machen, schlug ich, so fest ich konnte, mit der geballten Faust gegen die Schlafzimmerwand. Irgendwo in nächster Nähe prasselte ein Hagelschauer von Schutt und Mörtel nieder, was sich furchterregend anhörte – beinahe so, als hätte ich einen Deckenträger verrückt. Es rieselte noch lange im Gebälk.
Ich tastete im Finstern die Wand ab. Obwohl ich keinen Riß im Verputz finden konnte, lag ich starr vor Schuld und bösen Ahnungen im Bett, angstvoll auf weitere Geräusche lauschend.
Nach einer Weile vergaß ich zu lauschen und schlief ein.
XXXVIII
Für eine durchzechte Nacht erwachte ich erstaunlich früh, und schuld daran waren meine Träume – Träume, die mich so furchtbar verstörten, daß ich Sie lieber nicht damit behelligen will.
Um einer Fortsetzung vorzubeugen, stand ich auf und zog mich an – was allerdings erstaunlich lange dauerte, wenn man bedenkt, daß ich doch bloß eine frische Tunika über die zerknautschte ziehen mußte, in der ich geschlafen hatte, und herausfinden, wo Mama meine Lieblingssandalen versteckt hatte. Während ich mich mit meiner Toilette plagte, lief über mir ein wüstes Gezeter ab. Die Alte von oben schurigelte einen armen Menschen, als hätte der ihrer einzigen Tochter die Jungfernschaft geraubt.
»Das werden Sie noch bereuen!« schnaubte eine Männerstimme. Froh, ausnahmsweise einmal nicht selbst an den Wahnvorstellungen der Alten schuld zu sein, steckte ich den Kopf aus der Tür, just als Cossus, der Makler, die Treppe heruntergepoltert kam. Er schien in heller Aufregung.
»Ärger gehabt?« erkundigte ich mich.
»Ach, immer diese verrückte alte Schlampe …«, knurrte er und linste dabei über die Schulter nach oben, als fürchte er, die Frau würde ihm einen Zauberfluch nachsenden. »Manche Leute wissen einfach nicht, was gut für sie ist …«
Er schien nicht geneigt, meine Neugier zu befriedigen, und so begnügte ich mich mit der stichelnden Frage: »Was ist eigentlich mit dem Wasserträger, den Sie mir versprochen haben?«
»Sachte, Mann, wir können doch auch nicht hexen!«
Diesmal ließ ich ihn ohne Trinkgeld abziehen.
Ich ging ungefrühstückt aus dem Haus. Und ohne Rücksicht auf meinen schmerzenden Brummschädel machte ich mich auf den Weg zu meinen Klientinnen vom Pincio. Es brauchte etliche Zeit, bis ich dort ankam. Meine Füße hatten offenbar einen Eid geleistet, daß sie mich heute nirgendwohin tragen würden. Doch ich überlistete sie, indem ich einen Maulesel mietete.
Novus’ Fahrt über den Styx wurde mit großem Pomp inszeniert. Das ganze Haus duftete schwer nach Balsamierungsölen und Weihrauch. Statt mit ein paar symbolischen Zypressenzweigen war jeder Eingang gleich mit zwei veritablen Bäumen bestückt. Die Sippe mußte einen kleinen Wald abgeholzt haben. Aber das sah dem Pack ähnlich, daß sie sogar aus einem Begräbnis ein Spektakel machten.
Die Sklaven waren von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet. So brandneu, wie das Tuch aussah, hatten die Freigelassenen ein ganzes Heer von Näherinnen in Nachtschicht arbeiten lassen.
Als es mir endlich gelang, zu den Damen des Hauses vorzudringen (die sich schrecklich zierten und angeblich so gramgebeugt waren, daß sie niemanden empfangen konnten), fand ich sie tiefverschleiert und in kostbare, faltenreiche weiße Gewänder gehüllt: die Trauerfarbe der Oberschicht (weil kleidsamer als Schwarz).
Ich murmelte ein paar Beileidsworte, dann packte ich den Stier bei den Hörnern: »Sie wundern sich vielleicht, daß ich mich so einfach hierhertraue …«
Sabina Pollia lachte ihr gackerndes Lachen. Schmerz macht manche Menschen reizbar. Ihr Gesicht war wunderschön hergerichtet wie immer, aber heute merkte man, daß ihre Stimme zehn Jahre älter war als ihr Gesicht.
Ich wappnete mich für das Ärgste. »Hören Sie, ich habe mein Bestes getan – und mehr hatte ich Ihnen auch nie versprochen.« Hortensia Atilias große dunkle Augen, die mehr Angst als Trauer spiegelten, waren besorgt auf mich gerichtet. Sabina Pollia dagegen funkelte mich kampflustig an. »Sie hatten recht mit Ihrem Verdacht gegen Severina – auch wenn der Zeitpunkt des Mordes dagegen spricht. Jedenfalls hätte niemand den Anschlag verhindern können … Aber diesmal wird sie der gerechten Strafe nicht entgehen!«
»Was macht Sie da so sicher?« fragte Pollia schneidend.
»Erfahrung.«
»Sie waren auch vor dem Mord schon sicher, die Lage im Griff zu haben.«
»Nein; vorher war ich auf der Hut. Jetzt aber bin ich wütend und …«
»Der Fall ist dem Prätor übergeben worden«, unterbrach Pollia mich.
»Gewiß, das habe ich ja selbst vorgeschlagen …« Ich ahnte schon, was jetzt kam.
»Dann schlage ich vor, wir überlassen es auch dem Prätor, ihn zu lösen!«
Als ich Pollias sarkastischen Hieb halbwegs verkraftet hatte, wagte ich mich behutsam wieder vor. »Sie haben mich engagiert, weil ich für den Palast arbeite, und genau dort wurde ich gestern abend so lange aufgehalten …«
»Unsere Männer haben uns befohlen, den Vertrag mit Ihnen zu lösen.« Das war Atilia, die immer als die eher Schüchterne von beiden aufgetreten war. In Wirklichkeit war ihr, genau wie Pollia, völlig schnuppe, was ihr Mann sagte; Felix und Crepito waren bloße Marionetten. Aber wenn einer von meinen Klienten sich vorgenommen hat, mich zu entlassen, dann ist ihm eben jeder Vorwand recht.
»Natürlich müssen Sie die Wünsche Ihrer Gatten respektieren«, sagte ich.
»Sie haben versagt, Falco!« tadelte Pollia unnachgiebig.
»Es sieht ganz so aus, ja.«
Selbst mit einem ausgewachsenen Kater war ich immer noch ein Profi. Die beiden Frauen waren nervös, erwarteten einen Wutanfall; aber ich konnte mich auch später abreagieren, und so enttäuschte ich sie genüßlich. »Meine Damen, ich dränge mich niemals auf, wenn ich das Vertrauen eines Klienten verloren habe.«
Dann grüßte ich höflich (immerhin sollten sie mich ja noch bezahlen) und ging.
Fall abgeschlossen. Nun denn, wenn ich keine anderen Aufträge an Land ziehen konnte, blieb immer noch die Möglichkeit, wieder für den Palast zu arbeiten.
Gefeuert.
Schon wieder gefeuert! Immer mußte mir das passieren: Offenbar waren die wenigen Klienten, die mir je einen Auftrag gaben, durch die Bank wankelmütige Leute. Kaum hatte ich mir mühsam etwas Interesse für ihr fades Leben abgerungen, da änderten sie auch schon flatterhaft ihre Meinung und brauchten mich nicht mehr.
Ich hätte diesen Fall lösen können. Und es hätte mir sogar Spaß gemacht. Aber sei’s drum – jetzt konnte ich den beiden Dämchen für ein paar Wochen Überwachung Wucherspesen berechnen und mich verdrücken, bevor der unangenehme Teil der Arbeit begann. Für einen philosophisch gesinnten Mann war dies die beste Art, Geschäfte zu machen. Sollten sich doch die bestallten Herren Justizbeamten den Kopf darüber zerbrechen, wie Severina es diesmal angestellt hatte. Mochte der Richter vom Pincio zeigen, ob er besser war als der Prätor Corvinus auf dem Esquilin und ob es ihm gelang, Severina vor Gericht zu bringen. Ich fing an zu lachen. Ja, ich konnte eine saftige Spesenrechnung stellen, mich einige Zeit im Bad erholen und im Tagesanzeiger nachlesen, was unsere Beamten wieder alles verpfuscht hatten …
Aber damit war der Fall noch nicht zu Ende.
Ich wollte schon hochmütig an der schmucken Portiersloge vorbeistolzieren, wo der Hortensius-Pförtner lauerte, als ich gleich dahinter im Schatten eine geduckte Gestalt entdeckte: dünne Arme und ein drahtiger schwarzer Schnurrbart, der das Gesicht in zwei Hälften teilte.
»Hyacinthus!«
Er hatte auf mich gewartet. »Falco – kann ich Sie sprechen?«
»Aber sicher …«
»Ich muß mich allerdings vorsehen. Man hat uns streng verboten, mit Ihnen zu reden.«
»Wieso denn das?« Er spähte ängstlich zum Haus hinauf. Ich zog ihn vom Hauptweg fort, und wir kauerten uns abseits unter eine knorrige Kiefer. »Schön, halten wir uns nicht mit dem Warum auf – was hast du auf dem Herzen?«
»Sie haben doch mit Viridovix gesprochen …«
»Ja. Eigentlich wollte ich mich heute noch mal mit ihm unterhalten …«
Hyacinthus lachte bitter. Dann hob er einen Kiefernzapfen auf und schleuderte ihn zwischen die Bäume. »Hat man Sie ausbezahlt?« fragte er.
»Rausgeworfen hat man mich – ob sie mich auch bezahlen, bleibt abzuwarten.«
»Schicken Sie einfach Ihre Rechnung. Die wollen keinen Ärger.«
»Ärger? Was denn für Ärger?«
Er schwieg einen Augenblick, dann ließ er die Bombe platzen. »Sie werden nicht noch mal mit dem Koch reden können. Viridovix ist tot!«
XXXIX
Mir brach der kalte Schweiß aus. »Wie ist das passiert?«
»Er ist letzte Nacht gestorben. Im Schlaf.«
»Genauso wie Novus?«
»Ich glaub nicht. Er sah ganz friedlich aus. Scheinbar ein natürlicher Tod …«
»Hah!«
»Er war gesund und kräftig«, meinte Hyacinthus düster.
»Sicher, ein Koch braucht nicht zu darben, der weiß immer, wo er was zu essen findet.«
Viridovix war außerdem noch jung gewesen; um die Dreißig, meiner Schätzung nach. So alt wie ich; taufrisch. »Kümmert sich denn schon jemand um den Fall?«
»Kein Gedanke! Irgendwer hat Felix zwar nahegelegt, es könne Mord sein – aber er behauptet, Viridovix habe vor lauter Scham darüber, daß Hortensius Novus nach einem seiner Bankette gestorben ist, Selbstmord begangen.«
»Wäre das denkbar?«
»Sie haben ihn doch kennengelernt!« rief Hyacinthus spöttisch.
»Stimmt! Werdet ihr, die übrigen Dienstboten, euch des Falles annehmen?«
»Wie können wir das denn, wenn der Freigelassene nein gesagt hat? Viridovix«, versetzte mein Gefährte bitter, »war bloß ein Sklave!« Dasselbe galt auch für seine Freunde.
Ich kaute an einem Fingernagel. »Der Prätor, der Novus’ Tod untersucht, sollte davon erfahren.«
Hyacinthus scharrte mit den Füßen im lockeren Erdreich. »Ach, das können Sie vergessen, Falco! Der Prätor hat einen hohen Kredit laufen, für den Crepito die Bürgschaft übernommen hat; der wird keine unangenehmen Fragen stellen. Die Familie will Novus in aller Stille beisetzen – jedes Aufsehen ist unerwünscht.«
»Ich dachte, die wollten Novus’ Interessen wahren? Darum hatten sie mich doch wohl engagiert!«
Hyacinthus wurde schamrot. »Ich hab nie verstanden, wie man auf Sie gekommen ist«, platzte er heraus. »Sie stehen im Ruf, dauernd Murks zu bauen …«
»Oh, besten Dank!« Ich verkniff mir einen saftigen Fluch. Aber dann ließ ich ihn doch los. Es war einer von meinem Bruder: besonders drastisch! Der Sklave schien beeindruckt. »Aber wenn deine Herrschaft meinte, ich tauge nichts, warum haben sie mich dann überhaupt mit dem Fall betraut?«
»Vielleicht dachte man, Sie würden entsprechend billig sein.«
»Dann haben sich die Damen aber mal gründlich geirrt!«
Ich erinnerte mich, daß Helena gesagt hatte, auf diese gräßlichen Leute mache nur Eindruck, was teuer sei.
Auch ohne den Leichnam gesehen zu haben, teilte ich die Zweifel des Botengängers. Der Koch war wohl kaum eines natürlichen Todes gestorben. »Viridovix wurde bestimmt ebenfalls vergiftet«, sagte ich. »Wenn auch nicht mit demselben schnell wirkenden Mittel, an dem Novus gestorben ist. Du hast doch beide Leichen gesehen. Was ist – habe ich recht?« Der Sklave nickte. Ich faßte einen Entschluß. »Ich wollte Viridovix noch ein paar wichtige Fragen wegen gestern nachmittag stellen. Das ist zwar nun nicht mehr möglich, aber vielleicht könntest du mir jemanden finden, der gut beobachtet und dabei war, als die Speisen für das Bankett zubereitet wurden?«
Er schien unschlüssig. Ich erinnerte ihn daran, daß sonst niemand den Tod des Kochs rächen würde. Aus Solidarität versprach er schließlich, jemanden zu suchen, der mir weiterhelfen könne. Ich gab ihm meine neue Adresse. Und da er Angst hatte, mit mir gesehen zu werden, ließ ich ihn ohne weitere Fragen zum Haus zurückhuschen.
Ich blieb unter dem Baum sitzen und dachte an den Mann aus Gallien. Ich hatte ihn gemocht. Er hatte sich seinem Schicksal ergeben, aber trotzdem seinen Stolz bewahrt. Ein integrer Mensch. Ein Mann mit Würde.
Ich dachte recht lange an ihn. Das war ich ihm schuldig.
Bestimmt war er ermordet worden. Nur hatte man ihm offenbar ein Gift verabreicht, das langsamer und weniger schmerzhaft wirkte als das Teufelszeug, dem Novus zum Opfer gefallen war. Vermutlich hatte man es in beiden Fällen auf Novus abgesehen – obwohl ich nicht völlig ausschließen konnte, daß der Anschlag auf mehr als eine Person zielte.
Noch wußte ich nicht, ob beide Giftstoffe vom selben Täter eingeschmuggelt worden waren. Und warum man zumindest einen zweiten Anschlag geplant hatte. Wahrscheinlich als Rückversicherung. Ich wußte allerdings, wie die zweite Dosis verabreicht worden war, und dieses Wissen sollte mich lange verfolgen. Das Gift konnte nur zwischen den bitter-würzigen Ingredienzien gewesen sein, die der Koch in seinem Becher Falerner zu sich genommen hatte.
Ich sah es noch vor mir, wie ich ihm den Wein mischte. Ich selbst hatte Viridovix getötet.
XL
Als ich auf dem gemieteten Maultier wieder südwärts ritt, sagte mir eine innere Stimme, daß dieser Fall erst zu Ende sein würde, wenn ich ihn gelöst hatte, egal, ob mit oder ohne Honorar. Das war mein edles, mutiges Ich. Mein anderes Ich (das an Viridovix dachte) fühlte sich einfach nur müde und besudelt.
Ich ging heim. Es hatte keinen Sinn, anderswohin zu gehen; und sich auf einen Kampf mit Severina Zotica einzulassen, solange ich nichts Hieb- und Stichfestes gegen diese sommersprossige Schlange in der Hand hatte, war erst recht sinnlos.
Eine halbe Stunde später klopfte sie an meine Tür. Ich dachte gerade nach. Damit das besser ging, betätigte ich mich nebenher handwerklich.
»Machen Sie heute Urlaub, Falco?«
»Nein, ich bin dabei, einen Stuhl zu reparieren.« Wenn ich schlechte Laune habe, werde ich leicht pedantisch.
Sie besah sich den abgenutzten Korbsessel, dessen halbrundes Rückenteil in Boudoir-Armlehnen auslief. »Das ist ja ein Frauenstuhl!«
»Vielleicht krieg ich, wenn ich den Stuhl geflickt habe, auch eine passende Frau dazu.«
Die Kupfervenus lächelte nervös.
Sie trug kein Schwarz, sondern tiefdunkles Hagebuttenrot, aber auf ihre unkonventionelle Art bezeugte sie damit mehr Achtung vor dem Toten als Pollia und Atilia mit ihren theatralischen weißen Gewändern.
Ich wandte mich wieder meiner Arbeit zu. Es war eine dieser vertrackten Bosseleien, wo man harmlos damit anfängt, ein paar ausgefranste Enden zu flicken, zum Schluß aber das ganze Möbelstück zerlegt und neu zusammenbaut. Ich hatte bereits zwei Stunden an den Stuhl verschwendet.
Um Severinas unliebsame Neugier abzuschmettern, knurrte ich: »Den Stuhl hab ich von meiner Schwester Galla. Meine Mutter hatte noch einen kleinen Vorrat geschältes Rohr. Aber es ist eine Sauarbeit. Und dabei weiß ich doch die ganze Zeit, daß Galla, sobald sie sieht, daß der Stuhl wieder brauchbar ist, mir mit ihrem: ›Ooh, Marcus, was bist du geschickt!‹, um den Bart gehen und das dumme Ding zurückverlangen wird.«
»Das Rohr darf nicht so trocken sein«, klärte Severina mich auf. »Sie sollten es mit einem Schwamm befeuchten.«
»Ich komme auch ohne Ihren Rat zurecht.« Der Rohrstreifen, den ich gerade einflocht, brach mitten in der Reihe entzwei. Ich holte einen nassen Schwamm.
Severina suchte sich einen Schemel. »Sie machen sich da aber sehr viel Mühe.«
»Gründlichkeit zahlt sich aus.«
Sie saß still da und wartete darauf, daß ich mich beruhigen würde. Ich hatte nicht vor, ihr den Gefallen zu tun. »Heute ist ein Ädil bei mir gewesen. Er kam im Auftrag des Richters vom Pincio.«
Ich verknotete zwei widerspenstige Enden, bemüht, gleichzeitig mein Flechtwerk straff zu halten. »Bestimmt haben Sie ihn eingewickelt.« Ich rückte den Stuhl zwischen meinen Knien zurecht.
»Ich habe seine Fragen beantwortet.«
»Und dann ist er ganz fröhlich wieder abgezogen?«
Severina zierte sich. »Vielleicht begreift der eine oder andere ja doch, daß es unlogisch ist, mich zu verdächtigen, weil ich nämlich kein Motiv habe.«
»Vielleicht macht der Prätor im August gern Ferien.« Ich kühlte meine schmerzenden Finger an dem nassen Schwamm. »Aber ich hab noch eine frohe Botschaft für Sie: Solange Sie sich diesen Ädil vom Leib halten können, wird Sie niemand mehr belästigen.«
»Wie bitte?«
Ich stand auf, stellte den Stuhl gerade und setzte mich zur Probe drauf. Jetzt thronte ich über dem zierlichen, adretten Persönchen, das eingehüllt in die unvermeidliche Stola auf meinem Schemel hockte und die Knie mit den Armen umschlungen hielt. »Ich hab den Fall nicht mehr, Zotica. Pollia und Atilia haben mir den Auftrag entzogen.«
»Wie dumm von ihnen!« rief Severina. »Jeder, dem wirklich etwas an Novus lag, hätte Sie weitermachen lassen.«
»Die beiden kamen mir von Anfang an seltsam halbherzig vor.«
»Wundert mich gar nicht.« Ich verkniff mir jede Reaktion. Was auch folgen mochte, es konnte nur Ärger bedeuten. Aber das war ja nichts Neues, wenn man es mit Severina zu tun hatte. »Die Tatsache, daß die beiden Sie entlassen haben«, fuhr sie fort, »beweist, daß ich in allen Stücken die Wahrheit sage.«
»Wie das?«
»Pollia und Atilia haben Sie engagiert, um den Verdacht auf mich zu lenken.«
»Und warum?«
»Um ihre eigenen Ziele zu kaschieren.«
»Und die wären?«
Severina holte tief Luft. »Die Freigelassenen hatten sich ernstlich zerstritten. Crepito und Felix waren nicht einverstanden mit der Art, wie Novus ihre Geschäfte führte. Novus seinerseits verabscheute jeden Ärger und wollte den beiden die Partnerschaft aufkündigen.«
Sosehr ich ihr auch mißtraute, diese letzte Behauptung deckte sich mit der Aussage von Viridovix, der ja auch von einem Streit der Freigelassenen nach dem Bankett erzählt hatte. »Und wäre es für die beiden anderen ein großer Verlust gewesen, wenn Novus sich von ihnen getrennt hätte?«
»Novus war immer der führende Kopf. Er allein hatte Unternehmungsgeist, alle zündenden Einfälle stammten von ihm.«
»Demnach hätte er der Firma bei seinem Ausscheiden wichtige Anteile entzogen?«
»Stimmt genau. Seine Beziehung zu mir machte die Lage auch nicht besser. Wenn Novus geheiratet hätte – und vor allem, wenn Kinder gekommen wären –, hätten seine jetzigen Erben das Nachsehen gehabt.«
»Felix und Crepito?«
»Felix und Crepitos Sohn. Atilia ist vernarrt in den Jungen. Sie baute fest auf eine Erbschaft, mit der sie die Karriere ihres Sohnes fördern wollte.«
»Und was ist mit Pollia?«
»Die will sich den Anteil ihres Mannes unter den Nagel reißen.«
Was sie sagte, klang plausibel. Mir war das überhaupt nicht recht: Nachdem ich mich erst einmal davon überzeugt hatte, daß Severina die Schuldige sei, hatte ich keine Lust, mich wieder umzustellen. »Wollen Sie behaupten, einer der Freigelassenen oder deren Frauen wären imstande gewesen, Novus aus Habgier zu töten?«
»Vielleicht stecken sie alle unter einer Decke.«
»Beurteilen Sie gefälligst andere Menschen nicht nach Ihren verderbten Maßstäben! Ich muß allerdings zugeben, daß der Zeitpunkt des Mordes – just nachdem Sie und Novus Ihren Hochzeitstag festgesetzt hatten – schon sehr verdächtig ist.«
Severina klatschte triumphierend in die kleinen weißen Hände. »Aber es kommt ja noch viel schlimmer! Ich hab Ihnen doch gesagt, daß Novus Feinde hatte.« Sie hatte mir schon eine Menge Lügen aufgetischt. Ich lachte geringschätzig. »So hören Sie mich doch wenigstens an, Falco!« Ich hob entschuldigend die Hand, aber sie schmollte erst mal und ließ mich zappeln.
»Also, wer waren seine Feinde?«
»Außer Crepito und Felix hatte er auch noch Appius Priscillus gegen sich aufgebracht.«
»Darf ich das so verstehen, daß er Novus’ Konkurrent war und daß es zwischen beiden Interessenkonflikte gab? Raus mit der Sprache, Severina! Was war der Zweck dieses Banketts?«
»Es sollte eine Versöhnungsfeier werden, das habe ich Ihnen doch schon gesagt. Priscillus war es, vor dem ich Sie neulich warnen wollte.«
»Hat er Novus bedroht?«
»Novus und auch die beiden anderen. Darum läßt ja Atilia ihren Sohn kaum noch aus den Augen – einmal hat man nämlich schon damit gedroht, das Kind zu entführen.« Ich wußte, daß Atilia den Jungen selbst zur Schule brachte, was in der Tat sehr ungewöhnlich war.
»Und welcher dieser vielen Verdächtigen ist nun Ihrer Meinung nach der Schuldige?« fragte ich sarkastisch.
»Das ist ja das Problem – ich weiß es einfach nicht! Falco, was würden Sie davon halten, wenn ich Sie engagiere?«
Wahrscheinlich würde ich um Hilfe rufen. »Eine berufsmäßige Braut ist, offen gestanden, die letzte, die ich mir als Auftraggeberin wünschen würde – vor allem, wenn sie gerade mal ohne Mann ist und dementsprechend unberechenbar …«
»Meinen Sie das, was gestern nacht beinahe passiert wäre?« Severina war rot geworden.
»Die letzte Nacht sollten wir lieber vergessen.« Meine Stimme klang vertraulicher, als ich beabsichtigt hatte. Ich merkte, daß Severina leicht zusammenzuckte, wobei die Stola ins Rutschen geriet und ihr feuerrotes Haar entblößte. »Wir waren betrunken.« Severina sah mich prüfender an, als mir lieb war.
»Würden Sie für mich arbeiten?« fragte sie eindringlich.
»Ich werd’s mir überlegen.«
»Das heißt also, nein.«
»Es heißt, daß ich’s mir überlegen werde!«
In diesem Moment war ich drauf und dran, die Kupfervenus hochkant rauszuwerfen. (Ja, ich hatte nicht übel Lust, meinen Beruf überhaupt an den Nagel zu hängen, mir einen kleinen Laden zu mieten und mich aufs Stühleflicken zu verlegen …)
Es klopfte. Severina hatte offenbar die Wohnungstür nur angelehnt, denn noch bevor ich »Herein« rufen konnte, wurde sie von draußen aufgestoßen. Ein Mann wankte keuchend über die Schwelle. Seine mißliche Lage erklärte sich auch ohne Worte.
Er hatte sich gerade zwei Treppen hochgequält – um den größten Fisch abzuliefern, der mir je zu Gesicht gekommen war.
XLI
Ich stand auf. Aber ganz vorsichtig.
»Wohin damit, Legat?« Er war ein schmächtiger Mensch. Als er vom Flur hereingewankt kam, hielt er mein Präsent an den Kiemen hoch, weil seine Arme nicht drum herumreichten. Der Fisch schien beinahe so lang, wie sein Lieferant groß war. Und an Umfang übertraf er ihn deutlich.
»Lassen Sie ihn nur einfach fallen …«
Der Mann stöhnte, bog sich zurück und wuchtete den Fisch dann von der Seite her über das Tischchen, auf dem ich beim Lesen zuweilen die Ellbogen abstütze. Und weil er ein pfiffiger Kerl war, der nichts unversucht ließ, hopste er anschließend so lange auf und nieder, bis er mein schlüpfriges Präsent durch die Erschütterung in eine akzeptable Position gewackelt hatte. Severina fuhr erschrocken auf, als eine Schwanzflosse von der Größe eines Straußenfächers knapp vor ihrer Nase über die Tischkante wippte.
Riechen konnte man nichts. Er war in tadellosem Zustand.
Der Lieferant schien sich zwar an seinem dramatischen Auftritt schon weidlich zu verlustieren, aber ich rang mich trotzdem dazu durch, ausnahmsweise den halben Aureus, den ich für unumgängliche Trinkgeldzahlungen in der Tunika trage, rauszurücken.
»Schönen Dank auch, Legat! Und guten Appetit wünsch ich …« Dann ging er, und sein Schritt klang jetzt merklich leichter als vorhin beim Kommen.
»Sie geben ein Fest?« forschte Severina mit unschuldigem Augenaufschlag. »Bin ich auch eingeladen?«
Ich war so geschafft, daß es ihr beinahe gelungen wäre, mich rumzukriegen. Womit ich mir einen wahren Olymp an Schwierigkeiten aufgehalst hätte.
Da ging die Tür ein zweites Mal auf, und herein trat eine Person, der es nie einfiel, zu klopfen, wenn auch nur entfernt die Chance bestand, in eine skandalträchtige Situation reinzuplatzen. »Hallo, Mutter!« rief ich tapfer.
Mama beäugte Severina Zotica mit dem Blick, den sie sich für jene unappetitlichen, matschigen Reste aufspart, die sie beim Hausputz in den dunklen Ecken der Küchenregale aufstöbert. Dann entdeckte sie mein extravagantes Geschenk. »Mit deinem Fischhändler sollte man mal ein ernstes Wort reden! Seit wann kaufst du dein Essen meterweise?«
»Muß ’ne Verwechslung gewesen sein: Ich hatte bloß gemeinen Tintenfisch bestellt.«
»Das ist wieder mal typisch für dich. Hat kein Geld in der Tasche, aber Allüren wie ein Caesar! Na, für den wirst du einen großen Topf brauchen!«
Ich seufzte. »Ich kann ihn nicht behalten, Mama. Das beste wird sein, ich mache ihn Camillus Verus zum Geschenk. Vielleicht kommt mir das bei ihm zugute …«
»Ist immerhin eine Möglichkeit, dem Senator deinen Respekt zu erweisen. Trotzdem schade. Aus den Gräten hätte ich ’ne gute Brühe kochen können.« Meine Mutter schloß Severina noch immer aus der Unterhaltung aus, gab ihr aber indirekt zu verstehen, daß ich einflußreiche Freunde besaß. Rothaarige bringen meine Mutter immer aus dem Gleichgewicht. Und meine Klientinnen haben ihr von jeher mißfallen.
Mama verkrümelte sich, damit ich meinen lästigen Besuch abwimmeln konnte. »Severina, ich muß mir das mit der Einladung noch überlegen.«
»Müssen Sie etwa Ihre Mutter um Erlaubnis fragen?« gab sie schnippisch zurück.
»Nein, aber meinen Friseur. Dann muß ich mir noch die ›schwarzen Tage‹ auf meinem Kalender raussuchen, eine schöne Jungfrau opfern und die Innereien von einem Schaf mit verbogenen Hörnern studieren … Wo ich das Schaf herkriege, weiß ich schon, aber Jungfrauen sind heutzutage rar, und mein Friseur ist gerade nicht in der Stadt. Geben Sie mir also vierundzwanzig Stunden.« Sie wollte etwas einwenden, doch ich deutete achselzuckend auf den Steinbutt, den augenfälligen Beweis dafür, daß ich allen Ernstes Organisationsprobleme hatte.
Meine Mutter kreuzte prompt wieder auf; der Bogen, den sie um Severina machte, war schon fast eine Beleidigung. Severina revanchierte sich, indem sie mich viel liebreizender als sonst anlächelte, bevor sie die Tür hinter sich schloß.
»Nimm dich bloß vor der in acht!« grummelte Mama.
Traurig beguckten sie und ich uns den Riesenfisch.
»Bestimmt werd ich’s bereuen, wenn ich ihn hergebe.«
»So einen kriegst du nie wieder!«
»Es juckt mich ja auch, ihn zu behalten – aber wie kann ich ihn zubereiten?«
»Oh, da ließe sich bestimmt was improvisieren …«
»Camillus Verus wird mich sowieso nie akzeptieren …«
»Nein, aber du könntest ihn doch zum Fischessen einladen.«
»Hierher doch nicht!«
»Dann laden wir halt Helena ein.«
»Die wird nicht kommen.«
»Ja, wenn keiner sie drum bittet, kommt sie bestimmt nicht. Hast du sie mal wieder verärgert?«
»Warum denkst du immer gleich, ich sei schuld? Wir hatten eine kleine Meinungsverschiedenheit.«
»Daß du dich aber auch nie änderst! … So, das wäre also geregelt«, stellte meine Mutter fest. »Ein Essen im Familienkreis. Übrigens«, legte sie nach (für den Fall, daß diese Aussicht mich aufgeheitert hätte), »ich war schon immer der Meinung, daß Steinbutt fad schmeckt, ja eigentlich nach gar nichts.«
XLII
Mitunter befürchte ich, daß meine Mutter früher ein Doppelleben geführt hat. Aber ich verdränge den Verdacht immer wieder, weil er nicht in das Bild paßt, das ein anständiger junger Römer sich von der Frau macht, die ihn geboren hat.
»Wo um alles in der Welt hast du denn schon mal Steinbutt gegessen?«
»Dein Onkel Fabius hat mal einen gefangen.« Das klang glaubwürdig. Keiner aus meiner Familie hatte genug Grips, um einen Steinbutt, wie es denn Brauch war, dem Kaiser zu offerieren; alles, was meine Verwandten in die Hände kriegten, wanderte umgehend in den eigenen Kochtopf. »Aber das war ein Babyfisch. Nicht annähernd so groß wie der da.«
»Wenn Fabius ihn gefangen hat, konnte das ja nicht anders sein!« Ein Familienwitz: alles an Onkel Fabius war klein.
»Du willst doch sicher nicht, daß das Vieh bitter wird. Komm, ich nehm schon mal die Kiemen raus«, erbot sich meine Mutter.
Ich ließ sie gewähren. Sie gaukelte sich halt gern vor, daß ich noch immer bemuttert werden müßte. Außerdem war es sehr erheiternd zuzuschauen, wie meine zierliche alte Mama ein solches Riesenvieh ausweidete.
Im Idealfall hätte ich ihn im Rohr gebraten. Aber dazu brauchte es einen Tontopf (den anzufertigen keine Zeit war), und ich hätte den Steinbutt hinterher doch den blöden Schiebern in einer Gemeindebäckerei anvertrauen müssen. Natürlich hätte ich mir auch selbst einen Ofen bauen können, aber abgesehen von der lästigen Steineschlepperei hatte ich Bedenken wegen der Brandgefahr und mußte außerdem befürchten, daß ein Trumm, in dem dieser Fisch Platz fände, den Fußboden zum Einsturz bringen würde.
Ich beschloß, ihn zu pochieren. Plattfisch braucht nur sanft zu köcheln. Ich würde zwar eine riesengroße Pfanne auftreiben müssen, aber da hatte ich schon eine Idee. Auf dem Dachboden meiner Mutter lagerte dort, wo die Familienmitglieder unerwünschte Neujahrsgeschenke unterstellten, auch ein mächtiger ovaler Schild, den mein verstorbener Bruder Festus mal mit heimgebracht hatte. Er bestand aus einer Bronzelegierung, und Festus hatte seinerzeit behauptet, es handele sich um eine teure peloponnesische Antiquität. Ich hatte ihn damals in Rage gebracht, als ich schwor, der Schild könne nur aus einer keltischen Werkstatt stammen – womit ich ihn zu einem der billigen Souvenirs degradierte, die mein einfältiger Bruder sich als Wettgewinn hatte andrehen lassen. Wie hätte Festus erst getobt, wenn er gewußt hätte, daß ich seine staubige Trophäe einmal in einen monströsen Fischkessel verwandeln würde!
Ich flitzte rüber zu meiner Mutter. Als ich unters Dach kraxelte, um den Schild zu holen, fand ich in der Kuhle am einen Ende ein Mäusenest, aber ich kippte die Brut aus und sagte nichts. Der Griff auf der Innenseite hatte schon zu Zeiten, als Festus noch mit dem Ding im Gymnasium rumalberte, einen Sicherheitsbolzen eingebüßt; der andere war festgerostet und mit Grünspan überzogen, aber es gelang mir, ihn loszuschlagen (wobei ich mir allerdings die Fingerknöchel aufschürfte). Der spitze Griff mochte für meine Zwecke hinderlich werden. Ich hatte vor, den Schild auf zwei oder drei über Kohlenpfannen erhitzte Wasserkessel zu legen. Wenn ich den Sud zuerst kochte, brauchte man den Fisch bloß noch garen zu lassen. Eine geschlagene Stunde polierte ich den Schild, dann wusch ich ihn an einem öffentlichen Brunnen und trug ihn heim. Er war tatsächlich groß genug für den Steinbutt – nur leider zu flach. Ich wuchtete den Fisch hinein, füllte mit Wasser auf und stellte fest, daß es schon bis zum Schildrand reichte, noch ehe der Fisch bedeckt war. Die kochendheiße Brühe würde überschwappen. Und wie sollte ich das Kunststück fertigbringen, den Steinbutt nach der halben Kochzeit vorschriftsmäßig zu wenden?
Meine Mutter hatte mich, wie gewöhnlich, meine eigene Lösung austüfteln lassen und unterdessen zu Hause darüber nachgebrütet, wie mein glänzender Plan fehlschlagen würde. Während ich noch ratlos den nur halb bedeckten Fisch im Schild anstarrte, kam sie, fast unsichtbar unter einer riesigen Kupferbütte aus Lenias Wäscherei, in meine Wohnung gepoltert. Den Gedanken daran, was darin wohl zuletzt ausgewrungen worden war, verdrängten wir tapfer. »Ich hab das Ding ja gründlich gescheuert …« Der Zuber war zwar kürzer als der Keltenschild, doch mit abgeknicktem Kopf und Schwanz ließ sich der Steinbutt zur Not diagonal reinzwängen. Mama hatte außerdem noch ein paar Gemüsenetze mitgebracht, um den gegarten Fisch aus dem Zuber zu heben.
Jetzt war ich gerüstet.
Außer meiner Mutter lud ich noch meinen besten Freund Petronius Longus mit seiner Frau Silvia und ein paar von meinen Verwandten ein. So groß, wie meine Familie war, konnte niemand erwarten, daß ich den ganzen Clan auf einmal bewirtete. Meine Wahl fiel auf Maia, zum Dank für ihre Heldentat mit den Wettmarken, und auf Junia, bei der ich mich für das Bett revanchieren wollte. Meine beiden Schwager lud ich nicht ein, aber sie kamen trotzdem mit.
Ich sagte den Gästen, sie könnten ruhig zeitig kommen, denn schon die Zubereitung des Fisches würde bestimmt unterhaltsam werden. Das ließ sich keiner zweimal sagen. Alle waren zur Stelle, noch bevor ich Zeit gefunden hatte, mir eine saubere Tunika rauszusuchen oder ins Bad zu gehen. Ich ließ sie auf und ab spazieren und an meiner neuen Wohnung rumnörgeln, während ich mich um den Fisch kümmerte.
Eigentlich hatte ich mein zukünftiges Büro als Eßzimmer vorgesehen, aber sie schleppten alle ihre Schemel herbei und drängten sich in die Küche, wo sie mir in die Quere kommen und lautstark Ratschläge erteilen konnten.
»Was nimmst du denn für eine Brühe als Grundlage, Marcus?«
»Nur Wasser mit einem Schuß Wein und einer Handvoll Lorbeerblätter. Ich will ja das natürliche Aroma nicht verderben; das soll nämlich sehr delikat sein …«
»Du solltest auch noch einen Schuß Fischmarinade reinquirlen – Maia, sollte er nicht Fischmarinade drantun?«
»Ich finde, er sollte ihn gleich in der Sauce garen …«
»Nein, die Sauce wird extra zubereitet …«
»Das wird dir aber noch leid tun, Marcus! Was ist es denn für eine? Safran oder Zwiebel?«
»Kümmel.«
»Kümmel? Ooh! Marcus macht eine Kümmelsauce …«
Unter diesem Geplapper schickte ich mich an, die Kräuter für meine Sauce zu zerstoßen (es hätte Liebstöckel reingehört, aber Maia dachte, ich hätte sie gebeten, Petersilie mitzubringen; auch Thymian stand im Rezept, aber ich hatte meinen Topf an der Brunnenpromenade vergessen). Es klopfte; Petronius ging für mich zur Tür. »Camillus Verus schickt dir ein Lesesofa – wo willst du’s hinhaben?« röhrte Petro. Ich wollte das Sofa für mein Büro, aber da stand nun alles für unser Festmahl bereit (alles, was nicht schon wieder von meinen Gästen weggeräumt worden war). »Sollen wir’s in dein Schlafzimmer schieben?«
»Da ist nicht genug Platz. Stell’s in die leere Kammer gegenüber.« Aus einer meiner Kohlenpfannen züngelten die Flammen gefährlich hoch, und so mußte ich Petro allein den Möbelpacker spielen lassen.
Meine Mutter und Junia hatten sich ausgerechnet diesen Moment ausgesucht, um meine neuen Türvorhänge anzubringen. Zwischen wallenden Bahnen gestreiften Stoffs fuchtelten sie herum und versperrten mir die Aussicht auf den Flur. Meine beiden Schwager klopften herzhaft Nägel für die Vorhangschnur in jeden Türsturz; die simple Aufgabe, eine gerade Verbindungslinie von Pfosten zu Pfosten zu schaffen, wuchs sich zu einem komplizierten Vermessungsprojekt aus. Was immer sich in der restlichen Wohnung abspielte, beunruhigende Geräusche sprachen dafür, daß sowohl meine Türrahmen als auch Petronius’ gute Laune Schaden litten. Allein, die Brühe für meinen Fisch begann an den Rändern des Waschzubers Blasen zu werfen und zwang mich, die erhobenen Stimmen draußen zu ignorieren. Ich bekam einen roten Kopf von der Anstrengung, eine Kohlenpfanne unter dem Gewicht der heißen Kupferbütte gerade zu rücken. Eben hatte ich den Steinbutt hochgewuchtet, um ihn in den Tiegel zu befördern, als ich Maia kreischen hörte: »Verzeihung, aber das ist ein Familienfest! Didius Falco ist heute abend für Klienten nicht zu sprechen …«
Die Unterhaltung draußen geriet ins Stocken. Mitsamt dem Fisch drehte ich mich um. Einen schrecklichen Moment lang war ich darauf gefaßt, Severina vor mir zu sehen, aber es kam noch viel schlimmer. Wie ein begossener Pudel führte Petronius eine Person herein, die, mich ausgenommen, fast allen in meiner Familie fremd war … Helena Justina.
Im ersten Augenblick begriff sie gar nicht, was los war. »Marcus! Ich hab mir ja schon gedacht, daß du neuerdings andere Interessen pflegst, aber ich hätte nie erwartet, dich mit einem Fisch in den Armen anzutreffen …«
Die Verlegenheitspause dehnte sich zum unheilvollen Schweigen. Das Funkeln in ihren Augen erlosch schlagartig, als Helena die lustige Festgesellschaft überblickte samt dem großartigen Geschenk, das ich meinen Gästen auftischen wollte – und begriff, daß ich sie nicht eingeladen hatte.
XLIII
In fünf Jahren bei der Aventinischen Wache hatte Petronius ein gutes Gespür für brenzlige Situationen entwickelt. »Nimm doch mal einer dem Mann den Fisch ab!«
Meine Schwester Maia sprang auf und balgte sich mit mir um den Steinbutt, aber mit der Sturheit eines Schockpatienten weigerte ich mich, ihn loszulassen. »Das ist Helena«, erklärte Petronius hilfsbereit der ganzen Runde. Er hatte sich hinter ihr aufgepflanzt, damit sie sich ja nicht verdrücken konnte. Sie und ich, wir waren beide hilflos. Ich wollte mich in Gegenwart anderer nicht mit ihr aussprechen. Und Helena würde ohnehin nicht mit mir reden, solange dritte uns belauschten.
Ich klammerte mich an den Fisch wie ein ertrinkender Seemann an eine Spiere. Wie üblich, war ich an allem schuld, aber es war Helena, die mit schreckerfüllter Miene dastand. Sie wehrte sich gegen den onkelhaften Arm, den Petronius um sie gelegt hatte. »Marcus, Helena wollte die Lieferung deines Lesesofas überwachen – Helena, Marcus hat da von Titus ein wunderbares Geschenk bekommen …« Petro sprudelte munter drauflos. »Sie bleiben doch und essen mit uns?«
»Nicht, wenn ich nicht eingeladen bin!«
»Du bist immer willkommen.« Ich hatte endlich die Sprache wiedergefunden, nur klangen meine Worte leider nicht sehr überzeugend.
»Das sollte einem aber vorher gesagt werden!«
»Dann sag ich’s dir eben jetzt.«
»Wie nobel von dir, Marcus!«
Mit der Kraft der Beschwipsten entrang mir Maia endlich den Steinbutt. Bevor ich sie daran hindern konnte, legte sie ihn auf den Rand des Zubers, an dem er so anmutig hinunterglitt wie eine Staatsbarkasse auf Jungfernfahrt. Eine Woge duftenden Wassers schwappte über den jenseitigen Rand, worauf es prompt aus allen Kohlenpfannen prasselte und zischte; etliche meiner Verwandten riefen Bravo.
Stolzgeschwellt über den Erfolg ihrer Anstrengungen, setzte Maia sich wieder. Meine Schwager reichten den Wein herum, den ich für später bestimmt hatte. Der Steinbutt war fürs erste in Sicherheit, doch er hatte angefangen zu garen, bevor ich Zeit fand, die Löffel zu zählen, die Sauce zu binden, meine Tunika zu wechseln – oder das Mädchen zu versöhnen, das ich so schmählich beleidigt hatte. Petronius Longus tat sein Bestes, um sich stellvertretend für mich zu entschuldigen, aber schließlich machte Helena sich doch mit letzter Kraft von ihm los. »Marcus wird Sie hinausbringen«, schlug er noch hoffnungsvoll vor.
»Marcus muß sich um seinen Fisch kümmern!«
Helena verschwand.
Das Wasser im Fischkessel kochte.
»Laß die Finger davon!« kreischte Maia, die mich von den Kohlenpfannen abzudrängen versuchte.
Meine Mutter, die bisher stumm dabeigesessen hatte, schubste uns beide mit rebellischem Grollen beiseite. »Wir passen schon auf den Kessel auf – ab mit dir!«
Ich rannte auf den Gang: leer.
Ich riß die Wohnungstür auf: niemand auf der Treppe.
Mit zornbebendem Herzen lief ich wieder rein und sah in den anderen Zimmern nach. Neben dem Lesesofa des Senators in dem Kabuff, das ich nie benutzte, stand eine Truhe, mit der Helena sonst auf Reisen ging … 0, Jupiter! Ich erriet, was das zu bedeuten hatte.
Petronius hatte Helena in mein Schlafzimmer genötigt. Er kannte sie als eine Frau, die sich normalerweise nicht unterkriegen läßt, und jetzt schien er aufgeregter als sie. Als ich hereinkam, war er über die Maßen erleichtert. »Möchtest du, daß wir gehen?« Ich schüttelte energisch den Kopf (denn ich dachte an den Fisch). Petronius schlich hinaus.
Ich pflanzte mich zwischen Helena und der Tür auf. Sie bebte vor Zorn, oder vielleicht auch vor Kummer. »Warum hast du mich nicht eingeladen?«
»Ich dachte, du würdest nicht kommen!« Ihr Gesicht war bleich und verkrampft, und sie sah richtig unglücklich aus. Ich haßte mich dafür, daß ich ihr das angetan hatte. »Ich hab die ganze Zeit darauf gewartet, daß du dich bei mir meldest. Aber du wolltest offenbar nichts von mir wissen. Ach, Helena, ich hätte es nicht ertragen, den ganzen Abend auf die Tür zu starren und vergeblich auf dich zu warten …«
»Tja, nun bin ich ja auch so gekommen!« gab sie schnippisch zurück. »Und jetzt erwartest du wohl, daß ich sage: ›Ach, das ist eben typisch Marcus!‹, so wie deine Familie das macht!« Ich ließ sie geifern. Ihr tat es gut, und ich konnte Zeit gewinnen. Ich sah ja, daß sie völlig verzweifelt war. Und ihre Reisesetruhe hatte mir auch verraten, warum. Ich hatte ihr nicht nur eine Ohrfeige versetzt, nein, ich hatte dafür auch ausgerechnet den Tag gewählt, an dem sie sich entschlossen hatte, mit mir zusammenzuleben … »Keine faulen Tricks!« warnte sie, als ich Anstalten machte, näher zu kommen. »Ich kann das so nicht länger mitmachen, Marcus …«
Ich legte ihr beide Hände auf die Schultern. Sie versteifte sich gegen den Druck. »Mein Liebes, ich weiß doch …« Ich zog sie an mich. Sie wehrte sich, aber nicht energisch genug.
»Marcus, ich ertrage es nicht, dich immer wieder fortgehen zu sehen, ohne daß ich weiß, ob du je zurückkommen wirst …«
Ich umarmte sie fester. »Ich bin ja da …«
»Laß mich los, Marcus.« Helena bog unwillig den Kopf zurück; ich roch wohl zu arg nach Fisch.
»Nein, laß mich die Sache erst wieder ins Lot bringen …«
»Ich will aber nicht!« antwortete sie, noch immer mit dieser leisen, verzagten Stimme. »Marcus, ich will mich nicht immer von raffinierten Sprüchen einwickeln lassen. Ich will nicht noch mithelfen, wenn ich betrogen werde. Ich will dein Gewinsele nicht hören: ›Helena Justina, ich habe dich nicht eingeladen, weil ich wußte, daß du auch von allein kommen würdest. Helena, ich lasse mir deine Vorwürfe gefallen, weil ich sie verdient habet …«
»Tut mir leid. Erzähl mir nicht, ich sei ein Schuft, das weiß ich selbst …« Helena nickte heftig. »Ich will dich nicht beleidigen, indem ich dir sage, wie sehr ich dich liebe, aber ich liebe dich, und du weißt es …«
»Ach, hör doch auf, den starken Tröster zu markieren!«
Dankbar für den Hinweis, umschlang ich sie aufs neue. »Vergiß, daß ich mit einem Steinbutt geschmust habe. Komm her, du …«
Als sie den Kopf an meine fischige Brust lehnte, war es aus mit ihrer Beherrschung.
Maia steckte den Kopf durch den neuen Türvorhang, erblickte uns und lief rot an. »Sollen wir noch ein Gedeck auflegen?«
»Ja«, sagte ich, ohne Helena zu fragen.
»Nein, Marcus«, widersprach Helena. »Wir wollen Freunde sein, aber … du kannst mich nicht zum Bleiben überreden!«
Uns blieb keine Zeit, das zu Ende zu diskutieren. Bevor sie mich völlig am Boden zerstört hatte, pochte schon wieder jemand an meine Tür. Petro würde nachsehen. Ich konnte mir vorstellen, wie er davor zitterte, daß noch eine Grazie lächelnd auf der Schwelle stand … Bedauernd schnitt ich Helena eine Grimasse und schickte mich an, ihm zu Hilfe zu eilen. Ich war noch nicht bis zur Tür gekommen, als Petro hereinplatzte.
»Draußen ist das Chaos ausgebrochen, Marcus! Kommst du mal?« Mein sonst so gefaßter Freund schien in höchster Erregung. »Da steht ein ganzes Aufgebot dieser verfluchten Prätorianer! Mars allein weiß, was die hier wollen – aber angeblich hast du Titus eingeladen, seine Serviette mitzubringen und deinen Fisch zu kosten …«
Da war eine gesellschaftliche Katastrophe im Anzug.
Ich schaute Helena an. »Na? Willst du in Schönheit erstarrt da Wurzeln schlagen, oder gibst du dir einen Ruck und stehst mir bei?«
XLIV
Sie rettete mich. Sie konnte nicht anders. Gewissenhaft, wie sie war, konnte sie nicht tatenlos zusehen, wie ein Haufen ungeschliffener Plebejer Titus Caesar in Verlegenheit brachten. Sie beugte sich zwar nur zähneknirschend, aber zumindest für einen Abend hatte ich eine leibhaftige Senatorentochter als Gastgeberin in meinem Haus. Ich erwartete nicht, daß sie kochen konnte, aber sie wußte, wie man das Personal beaufsichtigt.
Für die Mitglieder meiner Familie war ein kaiserlicher Gast kein Grund, ihre lebenslangen Gewohnheiten zu ändern. Titus, der ein reichlich verdutztes Gesicht machte, hatte sich gleichwohl schon reingedrängt, bevor Helena und ich ihn mit dem wohlgesetzten Willkommensgruß empfangen konnten, der ihm gebührte. Meine Verwandten hatten ihn sich im Handumdrehen geschnappt und mit einer Schale Oliven in der Hand auf einem Schemel plaziert, damit er zusehen konnte, wie sein Steinbutt gar wurde. Ehe ich mich versah, hatten sich anscheinend alle reihum miteinander bekannt gemacht, ohne abzuwarten, bis ich sie einander vorstellte; Helena prüfte den Fisch mit einer Messerspitze, Petronius klemmte mir einen Becher voll Wein in die Armbeuge, und das Chaos schwoll an, während ich, wie eine ersaufende Wühlmaus im Gewittersturm, mittendrin stand.
Nach fünf Minuten und einem Becher minderwertigen Campania-Weins, hatte Titus die Hausregeln begriffen und stimmte in den Pöbelchor ein, der mir unausgesetzt Ratschläge zubrüllte. Wir haben keine Snobs in der Familie; alle akzeptierten ihn als einen von uns. Die meisten interessierten sich ohnehin weit mehr für die vornehme junge Dame, deren köstlich parfümierter Kopf sich dicht neben dem meinen über den behelfsmäßigen Kochkessel beugte.
Die Prätorianer mußten draußen warten. Glücklicherweise bringen die Didius-Frauen, wenn sie das Brot für einen Festschmaus beisteuern, immer gleich so viel mit, daß man etliche Körbe voll hinausschicken kann, falls ein hochrangiger Gast zufällig seine Leibwache dabei hat.
»Was ist das für eine Sauce?« flüsterte Helena und tunkte auch schon den Finger hinein.
»Kümmel.«
»Schmeckt man aber kaum.« Ich sah im Rezept nach – eines, das ich ihr einmal stibitzt hatte. Sie lugte mir über die Schulter und erkannte ihre Handschrift. »Schuft! … Da steht zwanzig Gran, aber ich werde ein bißchen mehr nehmen – hast du ihn gemahlen?«
»Hast du das schon mal versucht? Diese Kümmelkörner tanzen dir vom Mörser, als ob sie dich auslachen wollten.«
Sie langte in den Beutel und streute noch etwas Kümmel in den Topf. »Mach dich nicht so breit. Das kann ich schon allein!«
»Du bist aber nur das Personal, der Küchenchef bin ich – und ich muß hinterher den Tadel einstecken, wenn was schiefgeht.« Ich nahm selbst eine Kostprobe. »Bißchen scharf, wie?«
»Das kommt vom Senfsamen und den Pfefferkörnern.«
»Dann gib einen Löffel Honig dazu, während ich das Eindickmittel anrühre …«
»Dieser Mann versteht sein Geschäft!« rief Titus. Solche Gäste lobe ich mir.
»Mein jüngerer Bruder ist nicht auf fremde Hilfe angewiesen«, prahlte Junia selbstgefällig. (Bisher hatte sie mich immer als unfähigen Clown geschmäht.) Ich fing Helenas Blick auf. Meine Schwester Junia war sehr stolz auf ihr feines Benehmen und ihren guten Geschmack; bei Familientreffen wirkte sie aber jedesmal steif und fehl am Platze. Ich stellte mit Freuden fest, daß Helena schon jetzt unsere Maia, das verrückte Huhn, am besten leiden mochte.
Wir mußten zu viert anpacken, um den Fisch aus seinem Bad zu hieven. Ich zog einen Löffelstiel durch die Maschen des Gemüsenetzes. Der gegarte Steinbutt war zum Glück noch so fest, daß wir ihn im Ganzen rausholen und auf den Keltenschild meines Bruders wuchten konnten, den Petronius schon bereithielt. Während wir noch das Netz abzogen, verbrannte die Hitze des Fisches, die der metallene Schild erstaunlich rasch weiterleitete, Petro die Arme. Wir beschwichtigten den Klagenden damit, daß dies eine Charakterprobe sei.
»Sei vorsichtig mit dem Knauf auf der Unterseite!«
»Beim Zeus, Marcus, soll ich das Fischtablett etwa den ganzen Abend rumtragen? Aber wie kann ich’s absetzen, wenn du den Knauf nicht abgeschraubt hast?«
Mein Schwager Gaius Baebius, der Zollbeamte, trat vor. Gaius Baebius (der nicht im Traum daran denken würde, in jemandes Memoiren mit weniger als zwei Namen vorzukommen) wuchtete stumm einen eisernen Kessel auf den Tisch. Petro senkte den Schildbuckel in den Topf, der den Schild zuverlässig in stabilem Gleichgewicht hielt. Gaius Baebius hatte ein zweiteiliges Tafelgerät entwickelt, das durchaus Stil besaß.
Bestimmt hatte mein Schwager diesen Coup schon seit seinem Eintreffen heimlich geplant. So ein widerlicher Kerl!
Der Steinbutt sah großartig aus.
»O Marcus, das hast du aber gut gemacht!« – beinahe schwang ein winziges Quentchen Zuneigung in Helenas Ausruf mit.
Da die Gesellschaft größer geworden war, tauchten nun die üblichen Partyprobleme auf: Es fehlten sowohl Gedecke als auch Sitzgelegenheiten. Titus behauptete, es mache ihm nichts aus, sich auf den Boden zu hocken und sein Essen auf einem Salatblatt serviert zu bekommen, aber in Gegenwart meiner Mutter war schon etwas mehr Niveau vonnöten. Während Mama dem Steinbutt mit einem Tranchiermesser zu Leibe rückte, schickte ich Maia, die nach Weingenuß auf leeren Magen keine Hemmungen mehr kannte, zu meinen Nachbarn, um reihum Schemel und Schüsseln zu borgen. »Die meisten anderen Wohnungen stehen leer, Marcus. Dieses Haus ist der ideale Zufluchtsort für Gespenster! Das hier habe ich von einer alten Dame über dir geschnorrt – weißt du, wen ich meine?« Und ob!
Eingedenk der Köstlichkeiten, die die protzige Hortensius-Sippe bei ihrem Festmahl dem Priscillus vor setzte, sind Sie vielleicht neugierig auf das Menu bei mir.
Schlicht und bodenständig – aber dafür konnte ich garantieren, daß nichts vergiftet war.
Im übrigen tranken wir einen ausgezeichneten Wein, den Petronius mitgebracht hatte (er sagte mir, was für eine Sorte es war, aber ich hab’s wieder vergessen). Und vielleicht übertreibe ich die Bescheidenheit auch. Die Brüder meiner Mutter waren alle Handelsgärtner, und so hat man in unserer Familie unter Salat niemals bloß ein kleingehacktes, hartgekochtes Ei auf einem Endivienbett verstanden. Sogar meine drei nicht eingeladenen Schwestern hatten etwas beigesteuert, um mir ein schlechtes Gewissen zu machen; also hatten wir großes Tablett Weißkäse, verschiedene Wurstsorten und einen Eimer voll Austern als Beilage zum ordinären Grünzeug. So reichlich waren wir mit Speisen eingedeckt, daß sie sogar über die Schwelle strömten – und zwar buchstäblich, denn Junia gönnte sich mehr als einmal die Freude, den vor dem Haus rumlungernden Prätorianern unseres Ehrengastes etwas runterzutragen.
Alle versicherten mir, der Steinbutt habe vorzüglich geschmeckt. Ich als Koch war viel zu beschäftigt, als daß ich ihn selbst hätte kosten können. Die Kümmelsauce kam offenbar als Beilage sehr gut an, denn bis ich mich danach umsah, war das Servierkännchen schon blank gekratzt. Als ich mich endlich zum Essen niedersetzen konnte, fand ich nur noch im Flur Platz. Die Gäste machten einen solchen Krach, daß mir der Kopf dröhnte. Niemand nahm sich die Mühe, mit mir zu reden, denn ich war schließlich bloß ein erschöpfter Küchenjunge. Ich sah meine Mutter in einer Ecke mit Petro und seiner Frau, wahrscheinlich in ein Gespräch über ihren Nachwuchs vertieft. Meine Schwager aßen und tranken stumm und furzten höchstens mal verstohlen. Maia hatte Schluckauf, was kaum verwunderlich war. Junia strengte sich mächtig an, den Caesar zu unterhalten, was er wohlwollend über sich ergehen ließ – wenngleich Helena Justina ihm weitaus besser zu gefallen schien.
Helenas dunkle Augen wachten ständig über meine Gäste; sie und Maia leisteten mir gute Dienste, hielten das Gespräch in Gang und reichten die Speisen herum. Nur für mich war Helena unerreichbar. Selbst wenn ich nach ihr gerufen hätte, sie hätte mich doch nicht hören können. Dabei hätte ich mich so gern bedankt. Am liebsten wäre ich zu ihr gegangen, hätte sie geschnappt, in eins der leeren Zimmer geführt und sie so leidenschaftlich geliebt, bis wir beide uns vor Erschöpfung nicht mehr rühren konnten …
»Wo hast du die denn aufgegabelt?« piepste Maias Stimme hinter meinem rechten Ohr. Meine Schwester war eben herangeschwankt, um mir noch eine Portion klebrigen Steinbutt auf den Teller zu schaufeln.
»Ich glaube, sie hat eher mich aufgegabelt …«
»Armes Mädchen, wie die dich anhimmelt!«
Ich kam mir vor wie einer, der plötzlich den Weg aus der Wüste gefunden hat. »Wie kommst du denn darauf?«
»Na, wie die dich anschaut!« Maia kicherte; sie ist die einzige meiner Schwestern, die mich wirklich mag.
Ich schob meine zweite Portion auf dem Teller herum. Dann hob Helena, die zwischen acht Leuten eingekeilt war, von denen alle gleichzeitig redeten, plötzlich den Kopf und sah, daß ich sie beobachtete. Auf ihrem Antlitz spiegelte sich etwas, das mich tief berührte. Sie lächelte kaum merklich. Ein heimliches Zeichen zwischen uns, das mir sagen sollte, meine Gäste würden sich alle prächtig amüsieren; dann folgte ein Moment gemeinsam genossener Stille.
Titus Caesar neigte sich herüber, um Helena etwas zuzuflüstern; sie antwortete ihm auf die gesetzte Art, mit der sie sich in der Öffentlichkeit unterhielt – kein Vergleich mit dem tyrannischen Weib, das auf mir rumzutrampeln pflegte. Titus schien sie ebensosehr zu bewundern wie ich. Jemand sollte ihm beibringen, daß der Sohn eines Kaisers, wenn er sich schon mit dem Besuch bei einem armen Mann vergnügen will, dessen Fisch essen und seinen Wein schlotzen und auch seine Wachen zur Belustigung der Nachbarn draußen abstellen kann – es aber nicht so weit treiben darf, mit dem Mädchen des armen Schluckers zu flirten … Meine Verwandten hatte er allesamt mühelos becirct. Ich haßte ihn ob seiner glücklichen Flavier-Veranlagung, sich so leicht mit dem Volk gemein zu machen.
»Kopf hoch, alter Junge!« versuchte jemand, mich aufzuheitern.
Es sah ganz so aus, als hielte Helena Justina dem jungen Caesar eine Standpauke. Und da sie mehrmals zu mir herüberblickte, erriet ich, daß ich Thema ihres Gesprächs war. Gewiß machte Helena ihm Vorwürfe, weil der Palast so verantwortungslos mit mir umsprang. Ich zwinkerte Titus zu; er lächelte einfältig zurück.
Meine Schwester Junia quetschte sich, auf dem Weg nach ich-weiß-nicht-wo, an mir vorbei. Sie warf einen schrägen Blick auf Helena. »Du Trottel! Du willst dich wohl unbedingt in die Nesseln setzen!« gluckste sie schadenfroh und stolperte weiter, ohne abzuwarten, ob ich ihr diese Spitze übelnahm.
Ich war wieder einmal in der typischen Gastgeberrolle: hundemüde und außen vor. Meinen Fisch hatte ich vor lauter Grübeln kalt werden lassen. Außerdem stellte ich fest, daß eine von meinem Vermieter frisch verputzte Wand offenbar so unter der Trockenheit gelitten hatte, daß nun den ganzen Flur entlang ein Riß klaffte, groß genug, um meinen Daumen reinzustecken. Da hatte ich also einen idealen römischen Abend arrangiert: ein schmackhaftes Essen für meine Familie, die Freunde und einen von mir hochgeachteten Gönner. Und ich saß dabei und brütete deprimiert und mit trockener Kehle vor mich hin.
Meine eigene Schwester hatte mich beleidigt, ich mußte zusehen, wie ein bildhübscher Caesar versuchte, mir mein Mädchen auszuspannen; und wenn die Gäste nachher alle frohgelaunt heimwankten, würde ich Stunden brauchen, um den Trümmerhaufen, den sie zurückgelassen hatten, zu beseitigen.
Eine gute Eigenschaft hat meine Familie: Sobald alles, was sie grapschen konnten, aufgegessen und ausgetrunken war, setzten sie sich rasch wieder ab. Meine Mutter entschuldigte sich mit ihrem Alter und ging als erste, freilich nicht bevor Petros Frau Silvia den jungen Kaiser kreischend daran gehindert hatte, sich nützlich zu machen, indem er die Reste des Steinbutts wegwarf. Mama hatte natürlich vor, aus den Gräten und der restlichen Brühe eine gute Suppe zu kochen. Petronius und Silvia brachten meine Mutter nach Hause (mitsamt ihrem Eimer voll Gräten). Titus besann sich darauf, ihr zum Abschied ein paar lobende Worte über Festus zu sagen (der in Judaea unter Titus gedient hatte). Noch ganz benommen von seinem Fast-Malheur mit der Abfallbeseitigung, erschien es Seiner Hoheit taktvoll, sich ebenfalls zu empfehlen. Bei mir hatte er sich bereits bedankt, und nun griff er wie von ungefähr nach Helenas Hand.
»Camillus Verus’ Tochter hat sich energisch für Ihre Interessen eingesetzt, Falco!« Ich fragte mich, ob er wohl gehört hatte, daß mein Verhältnis zu Helena nicht rein beruflicher Natur war; und ob er ahnte, wie verbissen ich mich bemühte, sie hierzubehalten. Nein, das war ihm scheinbar entgangen: ein raffinierter Taktiker, dieser Caesar!
Ich sah Helena an und schüttelte mild tadelnd den Kopf. »Ich dachte, wir wären uns über deine Aufgabe heute abend einig gewesen: Du solltest nur die Oliven rumreichen und die Weinbecher zählen, bevor die Gäste heimgehen!«
Titus bot Helena an, sie nach Hause zu bringen.
»Besten Dank, Caesar«, antwortete sie in dem ihr eigenen bestimmten Ton, »aber Didius Falco hat den Auftrag, sich um mich zu kümmern …« (ich war früher mal ihr Leibwächter gewesen). Titus ließ nicht locker. »Und er braucht das Geld!« zischelte sie da, keineswegs diskret.
Titus lachte. »Oh, das Geld kann er auch von mir bekommen …«
»Bemühen Sie sich nicht, Caesar! Ohne Arbeit nimmt er kein Geld – Sie wissen doch, wie empfindlich Falco ist!«
Indes war sie nun einmal die Tochter eines Senators. Offiziell hatte ich keinen Anspruch auf sie. Und es war undenkbar, den Sohn des Kaisers zu brüskieren, indem ich ihn auf meiner Schwelle in einen kleinlichen Streit um die Etikette verwickelte. So kam es, daß ich Helena in dem lärmenden Pulk, der Titus auf die Straße runter eskortierte, schließlich aus den Augen verlor.
Es war zwar unhöflich von mir, aber ich war so niedergeschlagen, daß ich einfach oben blieb. Nachdem meine Verwandten erst mal die zwei Treppen runtergepoltert waren und meinen kaiserlichen Gast zum Palatin zurückgewunken hatten, sahen sie keinen Grund, noch einmal all die beschwerlichen Stufen raufzukraxeln, nur um mir auf Wiedersehen zu sagen. Also gingen sie gleich heim. Die ehrbaren Bürger der Piscina Publica litten gewiß schmerzlich unter dem Spektakel, mit dem sie abzogen.
In der Wohnung war es auf einmal furchtbar still. Jetzt ging’s ans Aufräumen, und ich machte mich auf eine lange Nacht gefaßt. Ich schnippte ein paar Stengel Brunnenkresse in einen Abfalleimer, richtete träge ein paar umgekippte Becher auf und klappte dann auf einer Bank zusammen, ganz wie erschöpfte Gastgeber es zu tun pflegen, wenn sie sich nach einem rauschenden Fest den übriggebliebenen Scherbenhaufen ansehen.
Hinter mir klappte eine Tür. Ein Wesen mit sanften Fingern und feinem Zeitgefühl kitzelte mich im Nacken. Ich beugte mich vor, um ihr mehr Raum zu geben. »Bist du das?«
»Ja, ich bin’s.« Na bitte: ein gewissenhaftes Mädchen. Natürlich war sie nur zurückgekommen, um mir beim Abwasch zu helfen.
XLV
Damit hätte ich rechnen können. Die Frage war, ob ich sie überreden konnte, hinterher noch bei mir zu bleiben.
Ich beschloß, zuerst die Hausarbeit zu erledigen und die knifflige Aufgabe hinauszuschieben, bis die Müdigkeit mich schmerzunempfindlich gemacht hatte.
Helena und ich gaben ein brauchbares Gespann ab. Ich konnte zupacken, wenn es sein mußte. Sie war etwas heikler, aber im Ernstfall scheute sie vor keiner Arbeit zurück. »An welchem Ende der Straße ist der Misthaufen?« Sie stand mit zwei unappetitlichen Abfalleimern in der Wohnungstür.
»Laß sie über Nacht auf dem Treppenabsatz stehen. Die Gegend hier macht zwar einen ganz friedlichen Eindruck, trotzdem solltest du des Nachts nichts riskieren.« Helena war an sich ein vernünftiges Mädchen, aber über den Alltag in Proletenkreisen würde ich ihr doch noch eine ganze Menge beibringen müssen.
Noch vom Flur draußen rief sie: »Marcus, hast du diesen Spalt in der Wand gesehen? Glaubst du, das ist Kunst am Bau?«
»Wahrscheinlich, ja.«
Endlich hatten wir es geschafft. Die Wohnung roch zwar immer noch nach Fisch, aber alles war wieder sauber, bis auf den Fußboden, und da konnte ich morgen schnell drüberwischen. »Danke! Du bist eine Perle.«
»Gern geschehen – es hat mir sogar Spaß gemacht.«
»Na, ich bin froh, daß wir’s hinter uns haben! Es ist nämlich ein Unterschied, mein Herz, ob man einmal aus Jux die Arbeit von zwanzig Sklaven erledigt – oder ob man sie jeden Tag machen muß.« Dann setzte ich mich hin und polierte in aller Ruhe meine guten Bronzelöffel. »Verschweigst du mir am Ende was?« Helena blieb stumm. »Na, komm schon, raus damit: Du bist von zu Hause durchgebrannt.« Selbst wenn bei uns alles in Butter war, wurde sie nervös, sobald es den Anschein hatte, als könnte ich in ihre Geheimnisse eindringen. Und gerade das hatte mich bei Helena von Anfang an gereizt: daß sie so schwer auftaute. Sie blickte mich finster an. Ich guckte finster zurück. »Ich bin Privatermittler, Helena – ich kann Indizien deuten! Außer dem Diwan deines Vaters steht drüben noch eine Truhe mit deinem zweitbesten Kleid und deinen Ersparnissen drin …«
»Mein zweitbestes Kleid habe ich an«, widersprach sie. »Und in der Truhe liegt die Besitzurkunde, die mir das Recht aufs Erbe meiner Tante Valeria sichert …«
Wenn ich mich so unsterblich verliebe wie in Helena Justina, dann werde ich bald neugierig und forsche nach, auf was ich mich eingelassen habe. Ich wußte also, daß das kleine Landgut ihrer Tante nur einen Bruchteil von Helenas Portefeuille ausmachte. Und ich kannte Helena recht gut; was sie vorbrachte, hörte sich ganz so an, als verzichte sie aus freien Stücken auf die Apanage, die ihr Vater ihr ausgesetzt hatte.
»Krach mit der Familie?«
»Wenn ich Schande über die Familie bringe, kann ich doch kein Geld von ihr nehmen!«
»So schlimm ist es?« Ich runzelte die Stirn. Helena war keine von diesen verwöhnten Gesellschaftsmiezen, die aus purem Trotz mit dem Fuß aufstampfen und ihr Recht auf ein paar Skandale einfordern. Nein, Helena liebte ihre Familie. Ihren Eltern Kummer zu machen, tat ihr bestimmt in der Seele weh. Ich war nicht gerade stolz darauf, daß ich sie just dazu angestiftet hatte – um sie dann hängenzulassen.
Sie überraschte mich mit einem Erklärungsversuch: »Ich bin dreiundzwanzig. Ich habe bereits eine Ehe und eine Scheidung hinter mir. Trotzdem ist es eine Schande, einfach so aus dem Haus meiner Eltern fortzulaufen – nur, ich komme daheim einfach nicht mehr zurecht.« Nun war es durchaus nicht dasselbe, ob ein Mädchen vor den Zwängen eines Höhere-Tochter-Daseins davonlief oder ob sie zu mir gelaufen kam. Mit welcher Variante hatte ich es hier zu tun?
»Wollen deine Leute dich etwa wieder verheiraten? Mit irgend so einem langweiligen, überkorrekten Senatorenschwengel?«
»Wenn du jetzt hier wohnst«, meinte sie (meine Frage übergehend), »könnte ich doch in deine alte Bude einziehen …«
»Aber nicht allein.«
»Ich bin nicht furchtsam!«
»Solltest du aber! Die Brunnenpromenade hat sogar mich das Fürchten gelehrt.«
»Es tut mir leid«, sagte Helena niedergeschlagen. »Ich hätte mich doch von Titus heimbringen lassen sollen …«
»Zum Hades mit Titus!« Wir hatten immer noch diesen ungeklärten Zwist am Hals, der im Augenblick jede vernünftige Entscheidung blockierte. Doch wenn wir jetzt, mitten in der Nacht, angefangen hätten zu streiten, wäre es womöglich zur Katastrophe gekommen. »Wenn du nach Hause willst, dann bringe ich dich hin! Aber zuerst sagst du mir, was du hier gewollt hast.« Sie schloß müde die Lider, und ich war ausgesperrt. »Helena, das bist du mir schuldig!«
»Ich wollte mich erkundigen, ob die Stelle noch frei ist – die für das Mädchen, das Mitteilungen entgegennimmt.«
»Die wartet immer noch auf die richtige Bewerberin.«
Sie sagte nichts, sah mich aber wenigstens wieder an. »Bleib heute nacht hier und überschlaf es«, bat ich ruhig. »Ich biete dir wenigstens eine ordentliche Bleibe. Ich fände es furchtbar, wenn du in zugigen Tempeleingängen schlafen und die Passanten am Pons Probi um ein paar Kupfermünzen anbetteln müßtest!« Helena war noch immer unschlüssig. »Schau, wir haben ein Bett und einen Diwan; du kannst dir aussuchen, wo du schlafen möchtest. Ich erwarte ja nicht, daß du das Lager mit mir teilst.«
»Das Bett steht natürlich dir zu«, sagte Helena.
»Na schön. Und keine Angst, ich weiß mich zu beherrschen, werde dir also nicht zu nahe treten.« Zum Glück war ich völlig erschöpft; andernfalls hätte ich dieses Versprechen womöglich nicht halten können. Ich rappelte mich hoch. »In meinem Schlafzimmer steht ein Diwan, der sich nach einer Dame sehnt, die ihn mit Beschlag belegt. Hier hast du eine Lampe, und da ist warmes Wasser zum Waschen. Reicht das?«
Sie nickte und ging hinaus.
Immerhin hatten wir etwas erreicht. Ich wußte bloß noch nicht, was. Aber Helena Justina hatten einen entscheidenden Schritt getan – und ich würde ihr helfen müssen, die Folgen zu tragen.
Rastlos ging ich daran, mir den Fischgeruch vom Leib zu schrubben, und fuhrwerkte anschließend wie ein veritabler Hausvater in der Wohnung herum: schloß die Fensterläden, löschte die Kohlenbecken, kam mir mächtig wichtig vor. Jetzt, da ich für Helena verantwortlich war, verriegelte ich sogar die Flurtür. Ich wußte allerdings nicht genau, ob ich das tat, um Einbrecher aus- oder Helena einzusperren.
Ich pfiff ein paar Takte, um sie vorzuwarnen, dann trat ich mit zwei Bechern dampfenden Honigmets ein. Der Lampendocht flackerte im Zugwind, der mit mir hereinwehte. Helena hatte sich auf dem Diwan ihres Vaters zusammengerollt und flocht sich die Haare. Mit Gallas Sessel, Helenas Truhe und ihren Toilettensachen wirkte das Zimmerchen auf einmal richtig gemütlich; genauso hatte ich es mir immer vorgestellt. »Ich bringe dir einen Schlummertrunk. Brauchst du sonst noch was?« Mich zum Beispiel? Sie schüttelte zaghaft den Kopf.
Ich stellte ihr den Becher bequem in Reichweite und schlappte zurück zur Tür. »Ich geb immer ein paar Gewürznelken rein, aber wenn dir das nicht schmeckt, brauchst du’s nur zu sagen, und ich lasse sie nächstes Mal weg.«
»Marcus, du siehst so traurig aus. Bin ich dran schuld?«
»Ich glaube, es liegt an dem Fall.«
»Was ist denn schiefgegangen?«
»Dieser Freigelassene ist trotz meiner Anstrengungen umgebracht worden. Auch seinen Koch hat’s erwischt – nicht zuletzt durch meine Schuld. Morgen muß ich entscheiden, wie es weitergehen soll.«
»Möchtest du nicht mit mir darüber sprechen?«
»Heute nacht?«
Helena Justina lächelte mich an. Es gehörte zu ihrer neuen Rolle, daß sie künftig Anteil an meiner Arbeit nahm. Sie hatte vor, mich ständig mit Fragen zu löchern, meine Klienten auf Herz und Nieren zu prüfen, sich überall einzumischen … Das konnte ich zur Not verkraften. Ach was, ich stellte es mir herrlich vor, mit Helena über meine Arbeit zu streiten. Ihr Lächeln vertiefte sich; sie hatte mein verstohlenes Grinsen bemerkt. Ich setzte mich in Gallas Sessel, balancierte den Becher auf einem Knie und erzählte Helena endlich alles, was seit unserem letzten ernsthaften Gespräch passiert war.
Na ja, fast alles. Daß Severina mich beinahe verführt hätte, schien mir nicht erwähnenswert. »Ist das die ganze Geschichte?« fragte Helena.
»Na, reicht das nicht? Erst engagieren mich die Hortensius-Weiber, damit ich Severina überführe. Und jetzt, wo sie mich gefeuert haben, möchte Severina, daß ich Pollia und Atilia beschatte …«
Helena überdachte meine Alternativen, ich machte ihr derweil schöne Augen. »Die Hortensii haben dir ihr Haus verboten, ein ziemlich starkes Stück! Ich finde, du solltest Severinas Auftrag annehmen. Ist sie unschuldig, hast du nichts zu verlieren. Und wenn sie schuldig ist, hast du so eine bessere Chance, sie zu überführen und deinen verstorbenen Freund, den Koch, zu rächen. Außerdem«, schloß Helena folgerichtig, »muß Severina dich bezahlen, wenn du für sie arbeitest.«
»Dagegen ist nichts einzuwenden!« Von meiner Befürchtung, die Kupfervenus könnte es darauf anlegen, mich in Naturalien zu entlohnen, sagte ich lieber nichts.
»Na, geht’s dir jetzt wieder besser?«
»Mmm. Danke. Ich werde gleich morgen früh bei Severina vorbeischauen.« Also höchste Zeit, schlafen zu gehen. »Außerdem muß ich zu deinem erlauchten Papa und ihm erklären, wie ich dich entehrt habe …«
»Dazu besteht kein Grund! Das habe ich schließlich ganz allein besorgt.«
»Dein Vater könnte das anders sehen. Einem Tunichtgut, der eine Senatorentochter aus dem elterlichen Nest lockt, unterstellt man nun einmal, daß er den guten Namen des Vaters befleckt hat.«
Helena wischte den Einwand großzügig beiseite. »Jeder Vater sollte stolz sein, wenn er erfährt, daß seine Tochter mit dem ältesten Sohn des Kaisers an einer Tafel gesessen und zum Diner Steinbutt serviert bekommen hat!«
»Herzblatt, im Hause Falco fallt das Diner mitunter ersatzlos aus!« Sie wirkte sehr müde. Ich griff nach der Lampe. Unsere Blicke trafen sich. Ich ging zur Tür. »Ich gebe dir lieber keinen Gutenachtkuß, denn wenn ich’s täte, könnte ich mich womöglich vergessen.«
»Marcus, im Moment weiß ich einfach nicht, was ich will …«
»Nein. Aber was du nicht willst, ist dafür glasklar …« Sie wollte etwas sagen, doch ich ließ sie nicht zu Wort kommen. »Das oberste Gebot in diesen vier Wänden lautet: Dem Hausherrn darf man nicht widersprechen; ich bin allerdings darauf gefaßt, daß du’s übertreten wirst.« Ich löschte die Lampe und fügte im Schutz der Dunkelheit hinzu: »Das zweite Gebot heißt: Sei gut zu ihm, denn er hat dich lieb.«
»Das schaff ich schon. Was sonst noch?«
»Nichts. Das ist alles. Außer – willkommen in meinem Haus, Helena Justina!«
XLVI
Severina kriegte auf Anhieb spitz, daß mit mir eine Veränderung vorgegangen war. »Was ist denn mit Ihnen passiert?«
»Hab gestern abend mal gut gegessen.« Da die Beziehung zu Helena noch auf ziemlich wackligen Füßen stand, wollte ich meine Untermieterin fürs erste lieber verschweigen. Im übrigen mochte vielleicht Helena die Aufgabe bekommen, meinen Klienten auf den Zahn zu fühlen, aber Helena Justinas Stellung bei mir ging andere noch lange nichts an.
»Ist das alles?« forschte Severina eifersüchtig. Eine Frage, die mir bekannt vorkam.
Ich erklärte mich bereit, ihren Auftrag zu übernehmen. Ich würde zweispurig ermitteln: einmal die Beziehungen zwischen den Geschäftsimperien von Priscillus und den Hortensii durchleuchten und zum anderen detailliert den Ablauf des Banketts rekonstruieren, bei dem Novus den Tod gefunden hatte. Sie wollte wissen, ob sie mir helfen könne, und schien überrascht, als ich nein sagte. »Sie gehören zum Kreis der Verdächtigen, Zotica. Da halten Sie sich am besten im Hintergrund.«
»Na gut, und wenn mir etwas einfällt, was Ihnen weiterhelfen könnte, dann kann ich ja in Ihre Wohnung kommen …«
»Nein, bloß nicht! Ich habe ein Zimmer an jemanden untervermietet, dem ich allein mit Damenbesuch nicht über den Weg traue. Ich komme lieber zu Ihnen.«
»Aber ich möchte über Ihre Ermittlungen auf dem laufenden sein …«
»Das sollen Sie ja auch!« Ich mußte schon Helena über jeden meiner Schritte Rechenschaft ablegen. Noch einen Aufseher konnte ich nicht verkraften.
Severinas helle Augen flackerten. »Warum wollen Sie mir auf einmal doch helfen?«
»Weil ich was gegen unerledigte Fälle habe.«
Ich war schon im Gehen. »So eilig?« Severina kam mir nach. »Sie sind meine letzte Hoffnung, Falco«, sagte sie beschwörend. »Alle anderen mißtrauen mir …«
Mutwillig tupfte ich ihr mit dem Finger die Spitze des sommersprossigen Näschens platt. »Das wird sich ändern, wenn ich erst Ihre Unschuld bewiesen habe.« Jetzt, wo sie dafür bezahlte, bequemte ich mich zur Rolle des Beschützers – und war selbst verblüfft darüber, wie gut sie mir gelang. Schon ein halbes Zugeständnis von Helena hatte mich froh gemacht. »Ach, übrigens, suchen Sie eigentlich immer noch ein neues Zuhause für Ihren Papagei? Ich wüßte da nämlich jemanden, der vielleicht gern ein Kuscheltier zur Gesellschaft hätte.«
»Wen denn?«
»Entfernte Verwandtschaft.« Nun gut, jemand, der vielleicht in einem fernen Äon mal zur Familie zählen würde. Außerdem war ich aus bestimmten Gründen selbst an dem Vogel interessiert. »Ich kann nicht versprechen, daß es ein dauerhaftes Arrangement wird, aber wenn Sie wollen, dann nehme ich Ihre Chloe für einen Monat zur Probe …«
Nach dem Besuch bei Severina machte ich einen großen Umweg am Fluß entlang, um Petronius Longus in der Baracke zu besuchen, die der Aventinischen Wache zugleich als Arrestzelle und Schankstube dient. Drinnen drängten sich seine Männer um die Würfeltische und schimpften lauthals über die Regierung, also flohen wir nach draußen und sahen zu, wie die Proviantboote tiberaufwärts gerudert wurden.
Petronius war mein bester Freund, deshalb verstand es sich von selbst, daß ich ihm von Helenas Einzug bei mir erzählte. Um dummen Witzen vorzubeugen, mußte ich natürlich auch erwähnen, daß es sich einstweilen nur um ein Abkommen auf Widerruf handelte. Er schüttelte lächelnd den Kopf. »Ihr seid mir schon zwei! Könnt nie den einfachen Weg gehen, was?«
»Gibt es denn einen einfachen Weg für einen Plebejer, der die Tochter eines Senators aus ihrem Nest locken will?«
»Keiner außer dir würde so etwas versuchen!«
Als nächstes wollte er mir für den gestrigen Abend danken, doch ich fiel ihm ins Wort. »Es war mir ein Vergnügen, außerdem schuldete ich dir und Silvia längst schon eine Einladung … Sag mal, Petro, was hört man denn heutzutage so über die Immobiliengeschäfte der Hochfinanz?«
»Nichts Ungewöhnliches – wo man hinschaut Schwindel, Gaunereien und Schikanen gegen die wehrlosen Mieter. Bist du da etwa in ein Wespennest getreten?«
»Schon möglich. Ist dir mal ein Schwarm von Immobilienhaien namens Hortensii untergekommen?« Petro schüttelte den Kopf. »Und Appius Priscillus, hast du von dem schon gehört?«
»Na, und ob! Wenn du vorhast, Priscillus zu besuchen, setzt du dir am besten vorher ’nen Nasenklemmer auf.« Ich hob fragend die Brauen. »Alles, was der Kerl anfaßt, stinkt!«
»Und gibt’s irgendwo ein besonders penetrantes Jauchefaß?«
»Ich selbst bin dem Mann nie begegnet, aber ich weiß aus zuverlässiger Quelle, daß die Hälfte der Ladenbesitzer an der Via Ostiensis ihren Kopf in einem Zuber verstecken, wenn bloß sein Name fällt. Falls du Material über ihn brauchst, kann ich mich gern mal umhören.«
»Das wär riesig nett von dir …«
»Du versuchst da, einen mächtig Großen festzunageln, Falco!« warnte Petro bedächtig. Größe an sich – oder auch Größe als Maßstab für gesellschaftlichen Rang – hatte Petronius noch nie einschüchtern können; er wollte mir wohl zu verstehen geben, daß der Mann gefährlich sei.
Zu Hause fand ich ein mustergültiges Faktotum vor, das sich angelegentlich in eine Gedichtrolle vertieft hatte.
Sie war in den Thermen gewesen; der zarte, erregende Duft eines Parfums erfüllte die ganze Wohnung, was mir gar nicht recht war – oder doch? Sie bedachte mich mit einem flüchtigen, spöttischen Lächeln, als ob ich sechs Beine und einen Schnabel im Gesicht hätte, und fuhr dann unverfroren fort, während der Bürozeit ihren poetischen Neigungen zu frönen.
Ich fragte in winselndem Ton: »Wohnt hier ein gewisser Falco?«
»Ab und an.« Sie dachte nicht daran, ihren wohlfrisierten Kopf von der Schriftrolle zu heben.
»Können Sie ihm etwas ausrichten?«
»Wenn mir danach ist.«
»Es geht bloß darum, daß ich vielleicht einen Job für ihn habe – falls er nicht zu wählerisch ist.«
»Da brauchen Sie bei Falco keine Angst zu haben!« Sie lachte bitter.
»Wie hoch ist denn sein Honorar?« Endlich blickte sie doch von ihrer Lektüre auf. »Nein, sag’s ihnen ja nicht, Spatz! Die richtige Antwort lautet: So, wie Sie aussehen, können Sie sich Falco eh nicht leisten.«
»Wieso? Ich kann den Klienten auch eine konkrete Antwort geben. Ich weiß ja, was du mir berechnet hast …«
»Du bist eine schöne Frau, und ich wollte bei dir Eindruck schinden. Da hab ich dir einen Sonderpreis gemacht.«
»Du meinst wohl, einen besonders teuren!« Während dieser jovialen Frotzelei sandte ich unentwegt wollüstige Signale aus. Helena fing prompt an, sich zu verhaspeln. »Mach ich das soweit richtig?« fragte sie.
»Du kannst ruhig etwas weniger freundlich sein. Klienten machen bloß Ärger, warum sie also noch ermuntern?«
»Was strampelt denn da in dem Sack?«
Ich knüpfte den Strick auf, und Chloe kam zornig herausgehopst. »Steh nicht so dumm da, Weib«, krächzte sie, »hol mir lieber ’nen Schnaps!«
Helena war empört. »Didius Falco, wenn du Geschenke mit heimbringen willst, meinetwegen – aber ich verbitte mir Vögel, die freche Antworten geben!«
»Ich wollte dich doch nicht kränken! Nein, Liebes, ich habe eine Aufgabe für dich. Ich glaube nämlich, diese gefiederte Kodderschnauze kann uns auf die Sprünge helfen. Es ist übrigens ein Weibchen; Chloe heißt sie. Ein Körnerfresser, soviel ich verstanden habe. Als Zeugin gehört sie zu der durchtriebenen Sorte und ist im übrigen absolut unzuverlässig. Am besten, du steckst sie in ein Zimmer mit geschlossenen Fensterläden, damit sie nicht womöglich die Biege macht, bevor sie geplaudert hat. Ich besorg dir eine Tafel – dann brauchst du bloß mitzuschreiben, was sie sagt.«
»Was für eine Art Hinweis suchen wir denn?« Der Papagei bot drei Worte an, denen man sonst fast nur an den Wänden von Wirtshauslatrinen begegnet. »Es wird mir ein Vergnügen sein!« knurrte Helena.
»Tausend Dank, Geliebte! Ach, wenn du den Makler siehst – Cossus heißt der Knabe –, dann bitte ihn doch, sich mal diesen Riß in der Flurwand anzusehen, ja?«
»Ich kann ihm ja sagen, du wolltest eigens an diese Wand für tausend Sesterzen ein Fresko von Bellerophon und Pegasus malen lassen.«
»Das überzeugt ihn bestimmt! Sonst noch Fragen, o holdes Weib?«
»Bleiben der Herr zum Mittagessen?«
»Bedaure, keine Zeit.«
»Wo willst du denn hin?«
»An verschiedene Türen klopfen.«
»Und wer sorgt fürs Abendbrot?« Eine Frau mit praktischem Verstand.
Ich warf ein paar Münzen in eine Schale. »Du kaufst ein, ich koche, und aufessen tun wir’s gemeinsam, während wir meinen Tag durchsprechen.«
Ich gab ihr einen keuschen Abschiedskuß, der sie ungerührt ließ, auf mich aber eine verstörende Wirkung hatte.
XLVII
Das Haus von Appius Priscillus entpuppte sich als düstere Festung auf dem Esquilin. Der Mann war also ein Nachbar des Prätors Corvinus, der auch in dieser vormals berüchtigten Seuchenbrutstätte residierte. Neuerdings grassierte hier freilich eine ganz andere Pest: Die Reichen waren eingefallen!
Die Villa stank förmlich vor Geld, obgleich der Besitzer sein Vermögen anders zur Schau stellte als etwa die Hortensii mit ihrer protzigen Innenarchitektur und ihren wahllos angehäuften Kunstschätzen. Priscillus betonte den Wert seiner Besitztümer durch die umfangreichen Vorkehrungen, mit denen er sie sicherte. So gab es beispielsweise weder Balkone noch Pergolen, die einem Dieb das Eindringen hätten erleichtern können, und die wenigen Fenster im Oberstock waren fest vergittert. Eine private Wachmannschaft saß in einer Art Bunker und vertrieb sich die Zeit mit Brettspielen. Ihr Wachlokal befand sich gleich am Beginn der Straße, über deren ganze Länge sich die Trutzburg dieses Großmeisters des Grundstücksmarktes erstreckte. Die Außenmauern waren schwarz gestrichen: ein zarter Hinweis auf den Charakter der Bewohner.
Zwei weiße Augäpfel, die einem hünenhaften Schwarzafrikaner gehörten, blitzten hinter dem Sprechgitter in einer besonders stabilen schwarzen Eingangstür. Ich bestand die Gesichtskontrolle und wurde eingelassen, aber dann spulte der Zerberus die Formalitäten mit affenartiger Geschwindigkeit ab, damit der Besucher sich nur ja nicht zu sehr mit dem Grundriß der Festung vertraut machen konnte. In der Eingangshalle lagerten ein Paar britannische Jagdhunde (angekettet), die nur um einen Bruchteil freundlicher waren als die ledergewandeten Leibwächter. Ich zählte mindestens fünf, die auf dem Gelände patrouillierten, den funkelnden Dolch auffallend im handgewebten Gürtel plaziert.
Ich wurde in ein Nebenzimmer abgeschoben. Doch bevor ich vor lauter Langeweile darauf verfallen konnte, meinen Namen auf der Tapete zu verewigen, erschien ein Sekretär, der deutlich Anstalten machte, mich dahin zurückzuschicken, wo ich hergekommen war.
»Dürfte ich Appius Priscillus sprechen?«
»Nein. Priscillus empfängt Bittsteller zwar am Vormittag, aber da führen wir eine Liste. Wenn Sie nicht auf der Liste stehen, können Sie auch nicht mit einem Almosen rechnen. Falls Sie als Mieter kommen, wenden Sie sich an den zuständigen Sachbearbeiter. Wenn Sie ein Darlehen wollen, gehen Sie zum Kreditreferenten …«
»Und wo finde ich den persönlichen Referenten von Priscillus?«
Er zögerte. Sein Blick sagte mir, Informationen dieser Art stünden sehr hoch im Kurs. »Das könnte unter Umständen ich sein.«
»Die Information, die ich brauche, ist besonders delikat. Vielleicht würde Priscillus sie mir lieber selbst geben.«
»Er ist nicht der Typ für heikle Themen«, sagte sein Adlatus.
Für sein Sekretariat hatte Priscillus offenbar nicht viel springen lassen; mein Gegenüber jedenfalls war kein gebildeter Grieche, der fünf Sprachen beherrschte. Er hatte vielmehr die langweiligen Züge eines Nordeuropäers, und das einzige, was ihn als Schreiber auswies, waren die Rohrfeder mit der geborstenen Spitze in seiner braunen Stoffschärpe und das über und über mit Tinte bekleckste Gewand.
»Ich heiße Didius Falco.« Er hatte mich nicht nach meinem Namen gefragt, aber mir schien es höflich, mich vorzustellen. »Ich möchte Sie bitten, Appius Priscillus auszurichten, daß ich etliche Fragen an ihn habe, und zwar im Zusammenhang mit dem, was sich vor zwei Nächten im Hause der Hortensii ereignet hat. Die Klärung dieser Fragen dürfte ebenso in seinem Interesse liegen wie in meinem.«
»Und was sind das für Fragen?«
»Vertrauliche.«
»Mir können Sie’s ruhig sagen.«
»Ich kann vielleicht – aber ich werde es nicht tun.«
Ohne mir einen Platz anzubieten, zog der Sekretär mürrisch von dannen. Allerdings standen in dem Raum auch weder Schemel noch Bänke, sondern nur schwere Kisten, die wahrscheinlich bis zum Rand mit Geld vollgestopft waren. Wer sich auf diese Kassetten setzte, würde seinen Allerwertesten mit einem häßlichen Muster aus Nägeln, Leisten und Bolzen verunzieren. Da ich keinen Stempel auf meinem Popo wollte, blieb ich stehen.
Wäre ich Anwalt gewesen, hätte der Gerichtsdiener kaum Zeit gehabt, die Wasseruhr zu stellen, um mein Plädoyer zu stoppen, als mein Bote auch schon zurückkam. »Er wird Sie nicht empfangen!« verkündete er triumphierend.
Ich seufzte. »Und was jetzt?«
»Nichts zu machen! Sie sind unerwünscht. Also gehen Sie.«
»Fangen wir doch nochmal von vorn an«, sagte ich geduldig. »Mein Name ist Didius Falco. Ich untersuche den Mord an dem Freigelassenen Hortensius Novus, der vergiftet wurde, und nebenbei auch noch den Mord an seinem Koch …«
»Na und?« höhnte der Sekretär.
»Ein Vögelchen hat mir gezwitschert, Appius Priscillus könnte in diese Verbrechen verwickelt sein.« Er zuckte mit keiner Wimper. »Und ich dachte mir, gegen so schwerwiegende Beschuldigungen möchte Priscillus sich vielleicht gern verteidigen …«
»Wenn er was verbrochen hat, werden Sie’s ihm nie beweisen! Wenn Sie Beweise hätten, wären Sie nicht hier!«
»Das klingt überzeugend, ist aber die Logik eines Gauners. Und jetzt richten Sie Priscillus folgendes aus: Wenn er’s war, dann werde ich ihn überführen. Sowie ich die Beweise habe, komme ich wieder.«
»Das glaube ich kaum, Falco. Und nun schlage ich vor, Sie ziehen ganz schnell Leine, denn wenn ich erst die Phrygier bitten muß, Sie rauszuwerfen, könnten Sie ziemlich unsanft vor der Tür landen.«
»Richten Sie Priscillus aus, was ich Ihnen gesagt habe«, wiederholte ich und ging scheinbar ganz brav zur Tür. Doch sowie der Bürohengst es einen Augenblick an Aufmerksamkeit fehlen ließ, sprang ich vor und drehte ihm den Arm auf den Rücken. »Gehen wir doch lieber gleich zu Priscillus – und zwar gemeinsam. Den zweiten Teil meiner Nachricht können wir ihm gemeinsam überbringen – und mit dem ersten wollen wir dich, mein Bürschchen, auf die Probe stellen. Ich glaube nämlich, daß er noch gar nichts von meinem Besuch weiß …« Der Trottel fing an zu toben. »Hör auf zu zappeln, Kerl, oder das Stenografieren wird die nächsten ein, zwei Wochen verdammt schmerzhaft für dich sein!« Ich ruckte einmal kräftig an seinem Arm, um meiner Drohung Nachdruck zu verleihen. »Verkauf mich nicht für dumm, Mensch – du bist doch überhaupt nicht bei Priscillus gewesen. So schnell, wie du wieder da warst, hattest du höchstens Zeit, deine Läuse zu kratzen.«
»Er ist gar nicht hier!« keuchte der wandelnde Tintenklecks.
»Und wo steckt er?«
»Das hier ist seine Firmenadresse. Er hat noch ein Haus auf dem Quirinal und zwei weitere gegenüber der Porta Salaria. Vielleicht ist er aber auch drüben, auf der anderen Seite vom Fluß, in seinem Neubau auf dem Janiculum. In seinen Privathäusern empfängt er allerdings nur enge Freunde.«
»Und wann erwartest du ihn wieder hier?«
»Das kann man nie sagen …« Plötzlich hatte er sich freigestrampelt und stieß einen Schrei aus, der einen der Leibwächter auf den Plan rief.
»Nur ruhig Blut. Ich geh schon – aber bestell deinem Herrn, sowie er hier aufkreuzt, was ich dir aufgetragen habe!«
»Keine Sorge! Und wenn ich’s ihm sage, dann können Sie sich auf seinen Besuch gefaßt machen, Falco!«
Ich lächelte. Mitunter ziehen Drohungen Unannehmlichkeiten nach sich. Doch meistens folgt nur heiße Luft.
Als ich, mit schrägem Blick auf die phrygischen Muskelpakete, durch die Halle ging, bemerkte ich draußen eine Sänfte. Wofür Priscillus seine Einkünfte auch verpulvern mochte, an seinen Tragstuhl verschwendete er sie jedenfalls nicht: Dieses uralte, fleckige braune Ledervehikel war so verbeult und schmutzig, daß es schon wieder auffiel. Ich zumindest hatte es schon mal gesehen: bei dem Hausbrand, in der Nacht, als Hortensius Novus ums Leben kam. Das wiederum hieß, ich mußte auch Priscillus schon einmal gegenübergestanden haben, nämlich in jener Nacht, als er aus eben dieser Sänfte gesprungen war.
So ein Geschäftsmann hat’s wirklich schwer. Kaum kann er sich eine wohlverdiente Verschnaufpause gönnen, nachdem er seinen Erzrivalen abgemurkst hat, schon muß er sich wieder ins Zeug legen, um das gramgebeugte Opfer einer Brandstiftung mit einem lukrativen Vertrag zu ködern …
Wenn die Sänfte draußen stand, war Priscillus vermutlich doch im Haus. Aber ich zog ab, ohne mich weiter mit dem Personal anzulegen. Der Denkzettel, den ich dem Schreiberling verpaßt hatte, garantierte mir, daß der Kerl so schnell wie möglich zu seinem Herrn eilen und mich verpetzen würde. Ich konnte mich also darauf verlassen, daß Priscillus meine Nachricht erhielt.
Vor dem Eingang erkannte ich gleich noch ein unliebsames Erinnerungsstück: Der da von seinem Maultier stieg, war niemand anderes als der pickelige Querulant, den ich zuletzt gesehen hatte, als er auf den alten Obsthändler in der Abakusstraße losgegangen war. Ich wappnete mich schon für einen Zweikampf, aber die kurzsichtige Wanze erkannte mich gar nicht wieder.
Den Nachmittag vertrieb ich mir damit, im Tempel des Saturn die Bürgerlisten des Zensors und die Vermögensurkunden durchzugehen, die aus Sicherheitsgründen im Schatzamt aufbewahrt werden. Appius Priscillus, der schon seit langem den Status eines Freigelassenen besaß, gehörte zum Wählerstamm der Galerianer. Ein umfassender römischer Zensus war zwar längst überfällig, aber trotzdem hätte der Mann irgendwo in den staatlichen Archiven aufgeführt sein müssen. Allein, er hatte es tatsächlich fertiggebracht, seine Existenz vor den Behörden zu verheimlichen. Was mich nicht überraschte.
Ich hatte es eiliger als sonst, nach Hause zu kommen. Das lag weniger an dem bitteren Nachgeschmack der Recherchen in Sachen Priscillus als an einem gewissen Lächeln, von dem ich in den eigenen vier Wänden empfangen zu werden hoffte.
Sie war ausgegangen. Das ließ sich zur Not noch hinnehmen. Ich würde sie ja doch gelegentlich von der Leine lassen müssen, schon damit Skeptiker nicht auf den Gedanken verfielen, ich hätte sie als Geisel genommen, um Lösegeld zu erpressen.
Die Wohnung machte ganz den Eindruck, als wäre der Vormittag recht abenteuerlich verlaufen. Severina hatte mir versichert, ihr Papagei sei stubenrein, was aber anscheinend nichts anderes bedeutete, als daß Chloe darauf dressiert war, Haushaltsgegenstände zu fressen. Schnabelspuren verunzierten etliche Türrahmen und fanden sich auch auf einer zerbrochenen Schüssel im Abfalleimer. Irgend jemand – und mein Verdacht fiel nicht unbedingt auf Helena – hatte blindwütig meinen Bürostuhl attackiert und ein Bein zur Hälfte durchgebissen. Mittlerweile war auch der Papagei verschwunden.
Helena hatte mir eine Liste mit den Sprüchen des Vogels nebst eigenen scharfsinnigen Kommentaren hingelegt:
Chloe ist ein kluges Mädchen. (Fragwürdig. H.)
Kurzwaren.
Wo bleibt mein Abendbrot?
Komm, wir gehen feiern!
Zwei Eier im Körbchen. (Ist das ordinär? H.)
Drei Obszönitäten. (Die ich mich weigere, aufzuschreiben. H.)
Chloe, Chloe, Chloe. Chloe ist ein braves Mädchen.
Bin bei Maia; mitsamt deinem dummen Vogel.
Die letzte Zeile verwirrte mich, bis ich die steile Krakelschrift erkannte. Meine Schwester Maia hatte sich einen Scherz mit mir erlaubt.
Ziemlich verärgert machte ich mich auf den Weg zu Maias Wohnung; es sollte doch niemand erfahren, daß Helena bei mir eingezogen war! Aber ich hätte mir ausrechnen können, daß meine Familie nach diesem aufregenden Fischsouper wiederkommen würde, auf der Suche nach Skandalgeschichten und Essensresten.
Helena und meine Schwester hatten es sich auf Maias Sonnenterrasse gemütlich gemacht. Ein ganzes Sortiment leerer Teller, Schüsseln und Pfefferminzteegläser verschandelte die steinerne Brüstung und die Ränder von Maias Blumentrögen. Weder Maia noch Helena rafften sich dazu auf, mir etwas anzubieten. Bestimmt hatten sie den ganzen Nachmittag über schnabuliert und waren nun so genudelt, daß sie sich nicht mehr rühren konnten.
Helena hielt mir die Wange hin, und ich hauchte einen Kuß darauf. Maia schaute weg. Unsere Förmlichkeit schien sie mehr zu genieren, als eine leidenschaftliche Umarmung es getan hätte.
»Wo ist der Papagei?« fragte ich.
»Der hat sich verkrochen«, antwortete Maia. »Ich hatte schon Angst, er würde meine Kinder schikanieren, aber die haben sich anständig gewehrt. Am Ende mußten wir ihm zu seinem eigenen Schutz einen Schmortopf überstülpen.«
»Ich habe schon gesehen, was diese Nervensäge in meiner Wohnung angerichtet hat.« Immer noch suchte ich, wie ein jämmerlicher kleiner Spatz, nach ein paar armseligen übriggebliebenen Krumen. »Ich werde einen Vogelkäfig besorgen.«
Am Boden einer Schale fand ich schließlich ein paar schrumpelige Mandeln. Sie schmeckten schon leicht angegammelt. Ich hätte mir denken können, daß an einem Leckerbissen, den mein Schatz und meine kleine Schwester verschmäht hatten, nicht mehr viel dran sein würde.
»Ich glaube, ›zwei Eier im Körbchen‹ ist ein Synonym für Hoden«, erklärte ich in nüchternem Medizinerton, um den beiden zu zeigen, daß ich sie für Damen von Welt hielt. »Wenn allerdings ›Kurzwaren‹ ebenfalls aus dem Söldnerjargon stammen sollte, dann kann ich dazu mit keiner Übersetzung dienen.« Maia gab vor, den Hintersinn erfaßt zu haben, und versprach, Helena später einzuweihen.
Sie machten mir Platz, warfen mir ein paar Kissen hin und geruhten endlich, sich meinen Tagesbericht anzuhören. Ich merkte bald, daß Helena meiner Schwester alles über meinen Fall erzählt hatte. »Bis zu Priscillus bin ich leider nicht vorgedrungen. Aber ich habe ihn, wie’s scheint, ganz richtig eingeschätzt: hohe Mieten und niedrige Motive. Allmählich sieht’s so aus, als ob was dran wäre an Severinas Geschichte.«
»Untersteh dich und hab Mitleid mit dieser Person!« rief Maia empört. Mir war, als hätten sie und Helena einen vielsagenden Blick gewechselt.
Ihre starre Ablehnung weckte unwillkürlich meine Sympathie für die Kupfervenus. »Warum denn nicht? Vielleicht wird Severina von allen verkannt? Und ist in Wahrheit tatsächlich bloß ein anhängliches Frauchen, das immer nur das Beste für Novus gewollt hat, aber leider bei allem, was sie anpackt, vom Pech verfolgt wird?« Diese Arie der Unvoreingenommenheit klang selbst in meinen Ohren überraschend. Offenbar rieselte bei mir langsam der Kalk im Oberstübchen.
Meine Schwester und meine Herzensdame machten mich mit klirrenden Armreifen nieder, und dann bekam ich Order, ihnen alles über Severina Zotica zu berichten, damit sie anschließend den Charakter der armen Person systematisch zerpflücken konnten. Maia, selbst eine gelernte Weberin, interessierte sich besonders für Severinas Handarbeiten. »Sitzt sie wirklich selbst am Webstuhl? Wie schnell arbeitet sie? Hat sie ein Muster benutzt? Mußte sie beim Farbwechsel erst überlegen, oder konnte sie den nächsten Strang Wolle instinktiv herausgreifen?«
»Oh, das weiß ich nicht mehr.«
»Marcus, du bist aber auch zu nichts zu gebrauchen!«
»Ich halte sie eigentlich schon für echt. Spricht nicht auch diese Rolle der getreuen Penelope für ihre Unschuld? Was könnte harmloser sein als eine Frau, die ruhig daheim am Webstuhl sitzt?«
»Während sie ruhig hinterm Webstuhl sitzt«, konterte Maia, »hat sie reichlich Muße, Listen und Ränke auszubrüten!«
»Aber sie tut doch bloß, was für jede ehrbare römische Matrone Tradition ist. Schon Augustus bestand darauf, daß die Frauen seines Hauses all seine Kleider mit eigener Hand webten.«
Helena lachte. »Dafür sind seine Techtelmechtel ja denn auch zum Musterbeispiel der Sittenlosigkeit geworden!« Prüfend sah sie mich an. »Ist es das, was du dir wünschst? Kratzige, handgesponnene Tuniken?«
»Würde mir nicht im Traum einfallen.« Schon weil ich mich nicht trauen tät!
»Na also! Erzähl uns doch noch was über diese Besuche in der Bibliothek. Für welches Gebiet interessiert sie sich denn?«
»Geographie.«
»Das klingt allerdings harmlos«, gab Helena zu. Trotzdem warfen sie und Maia sich schon wieder so einen albernen Blick zu. »Vielleicht ist sie ja auf der Suche nach einer hübschen Provinz, wohin sie sich mit ihrer unrechtmäßig erworbenen Beute absetzen könnte!«
»Das glaub ich kaum. Die einzige Schriftrolle, deren Titel ich entziffern konnte, war ein Text über Mauretanien. Aber wer möchte sich schon in einer Wüstenei zur Ruhe setzen, noch dazu eine, in der es von Elefanten wimmelt?«
Maia kicherte. »Wenn sie drei Bände zum Thema ›Wie zähme ich einen Papagei‹ ausgeliehen hätte, wäre das schon verständlicher. Marcus, findest du dieses Frauenzimmer etwa attraktiv?«
Helena musterte mich prüfend aus dem Augenwinkel, und da mich mal wieder das Fell juckte, sagte ich: »Sie ist nicht übel für einen, der Rothaarige mag!«
Maia erklärte, ich sei ein abscheulicher Mensch und wies Helena Justina an, mich (und meinen Papagei) heimzuschaffen.
Kaum, daß wir wieder zu Hause waren, fand ich heraus, daß meine Schwester dem Papagei einen neuen Satz beigebracht hatte. »Ooh! Marcus ist wieder frech gewesen!« krächzte Chloe.
XLVIII
Während ich am nächsten Morgen vergeblich versuchte, Appius Priscillus in einem seiner herrschaftlichen Biwaks aufzustöbern, kaufte Helena Justina einen Vogelkäfig und nahm später zwei Nachrichten entgegen.
»Du hattest Besuch von einem Sklaven, der seinen Namen nicht sagen wollte – aber es muß der Botengänger von den Hortensii sein.«
»Die schulden mir noch einen Haufen Geld.«
»Das hat er gebracht. Ich hab’s gezählt und ihm eine Quittung ausgeschrieben. Soll ich dir von jetzt an die Bücher führen?«
Mir brach der kalte Schweiß aus. Solch fatale Begleiterscheinungen holder Zweisamkeit hatte ich nie in Betracht gezogen. »Auf keinen Fall! Körper und Geist lege ich dir zu Füßen, aber ein Mann braucht ein kleines Quentchen Privatsphäre …«
»Das wird sich finden!« meinte Helena ziemlich ungerührt. »Dieser Bote hat übrigens ein Mädchen aufgespürt, das dir weiterhelfen kann. Morgen früh bringt er sie her. Kannst du das einrichten? Sie arbeitet in der Küche, also müssen die beiden sehr zeitig kommen. Ach ja, und das Begräbnis des Kochs findet Donnerstag statt, falls du hingehen möchtest.«
»Ja, freilich, das bin ich Viridovix schuldig.«
»Das dachte ich mir und hab’s dem Sklaven schon gesagt. Die andere Nachricht kam von Petronius Longus; er will dich dringend sprechen.«
Petronius hatte Dienst, also fand ich ihn auf dem Aventin. Er schwänzte eine Patrouillenrunde auf dem Emporium und kam statt dessen auf ein Glas Wein mit mir. Ich erzählte ihm, wie ich den ganzen Vormittag die Villen des Priscillus abgeklappert hatte und überall abgeblitzt war. »Angeblich ist er in den Albaner Bergen, um Ferienwohnungen aufzukaufen. Wenn er sich nicht entscheiden kann, welche die schönste Lage haben, nimmt er wahrscheinlich gleich alle im Paket.«
»Genau wegen Priscillus wollte ich mit dir reden.« Petronius maß mich mit einem seiner finsteren Blicke. Er gurgelte und schmatzte den Wein, um dann kundzutun, das Gesöff schmecke wie Zahnpulver. »Falco, in was für einen Haufen Eselsmist bist du da wieder reingetreten? Alle, die ich nach diesem Bonzen gefragt habe, halten ihn für etwa so harmlos wie einen Eimer voll Klapperschlangen. A propos«, setzte er genüßlich hinzu, »deine Hortensius-Brüder – oder was immer sie sind – haben kaum einen besseren Ruf!«
»Wieso das denn?«
»Fangen wir mit Priscillus an. Ziemlich schmutzige Geschichte. Während der Aufräumarbeiten nach dem großen Brand machte er das erste Mal von sich reden. Er ›erwies der Öffentlichkeit einen Dienst‹, und machte auf die Obdachlosen Jagd, die Nero ausgeräuchert hatte, um Platz für seine Domus Aurea zu schaffen. Auf ihren Entschädigungsanspruch spekulierend, heftete sich Priscillus nun diesen armen Teufeln an die Fersen.«
»Ich dachte, sowas wie ›Entschädigung‹ kommt nur in schlechten Witzen vor?«
»Sind wir hier in Rom oder nicht? In Wirklichkeit lief es so, daß Nero Schutt und Leichen kostenfrei abtransportieren ließ – aber auch dahinter steckte ein Trick, denn so konnte er sich lukrative Beutestücke aus den Trümmern unter den Nagel reißen. Der Brandhilfsfonds, für den wir Bürger alle so bereitwillig spendeten« – die Beträge waren uns von den Steuereintreibern aus dem Kreuz geleiert worden –, »also der versickerte in den Schatztruhen des Kaisers. Tausende blieben obdachlos und stürzten in tiefste Verzweiflung. Das war erst mal ein gefundenes Fressen für Bauunternehmer, die Behelfsunterkünfte vor der Stadt einrichteten. Als nächstes machten gerissene Gangster ihr Schnäppchen und zogen billige Slums hoch für jene Flüchtlinge, die wenigstens etwas hatten retten können, und noch billigere Quartiere für die, denen gar nichts geblieben war. Und dann wurde kräftig abgesahnt: Sowie die Flüchtlinge eingezogen waren, schossen die Mieten in die Höhe. Und als die Leute nicht mehr zahlen konnten, stand Priscillus schon wieder bereit – diesmal als Kredithai.«
In Rom leben die meisten Menschen auf Pump. Vom Tempelreiniger bis hinaus zum Konsul schleppt fast jeder die meiste Zeit seines Lebens Schulden mit sich rum. Die Angehörigen der gehobenen Gesellschaftsschicht können mit ihren Hypotheken jonglieren; die weniger Begünstigten klappen irgendwann unter der Last ihrer fünf Prozent Zinsen zusammen und verschachern ihre Söhne als Gladiatoren und ihre Töchter als billiges Bordellfutter.
»Und was ist mit dem Hortensius-Triumvirat, Petro? Arbeiten die mit ähnlichen Methoden?«
»Allerdings, auch wenn sie sich die Finger nicht ganz so dreckig machen. Außerdem sind ihre Interessen scheint’s breiter gefächert.«
Ich erzählte ihm, was ich von dem Konditor über Pollias Anteile an Getreidefrachtern wußte. »Sieht so aus, als hätte Novus auf ein ausgewogenes Portefeuille gesetzt: hier ein lukrativer Betrug mit Handelswaren, dort ein einträglicher Immobilienschwindel!«
»Ihr Geschäftsgebaren ist freilich nicht so brutal wie das von Priscillus. Als Hauswirte sind sie offenbar bloß schlechte Manager. Oder sollten sie sich etwa gleich graue Haare wachsen lassen, bloß weil ihre Mieter das Tageslicht durch die Mauern sehen können?«
»Klingt ja fast so gutmütig wie Smaractus!« scherzte ich.
»Ist aber leider gar nicht komisch. Im dritten Bezirk sind neulich drei Kinder ums Leben gekommen, als eine Decke einstürzte. Allein von Passanten, die sich gerade noch vor fallenden Dachziegeln und Balkongeländern retten konnten, werden die Hortensii im Schnitt einmal pro Monat verklagt! Es ist noch gar nicht lange her, daß irgendwo auf dem Esquilin eine ganze Mauer einstürzte und einen Mann unter sich begrub, der nur noch tot geborgen werden konnte. Aber die Hausbesitzer haben sich halt angewöhnt, selbst für noch so gefährliche Bauruinen keinen Finger zu rühren; ihre Effekten sind ja gesichert, auch wenn der Gegenwert nur aus abbruchreifen Trümmerhaufen besteht …«
»Die man noch dazu mit Gewinn wieder aufbauen kann?«
»Du sagst es!« Petro ballte die Fäuste. »Aber in erster Linie machen die Gauner ihren Profit durch diesen Schwindel mit den Seriendarlehen.«
»Was ist denn das?«
»Ja lebst du denn auf dem Mond, Falco?« Petronius schien fassungslos über so viel Naivität. Er war argwöhnischer gegen Betrug und Bauernfängerei als ich; kein Wunder – als festbestallter Offizier verfügte er bisweilen über genug Bargeld, um etwas investieren zu können. Manchmal verlor er dabei – aber nicht so oft wie die meisten anderen; er hatte einen unheimlichen Riecher fürs Geschäft. »Die Advokaten mit ihrem Juristenlatein nennen sowas ›Hypotheken‹. Kannst du mir folgen?«
»Ich bin ja nicht blöd … Und was steckt nun dahinter?«
»Eine Scheintransaktion, Falco!«
»Von Hypotheken hab ich schon irgendwo gehört oder gelesen. Ist das nicht der Begriff, den Anwälte benutzen für eine Bürgschaft, die durch Grundeigentum gedeckt ist? Aber keine Ahnung, wie eine Scheintransaktion funktioniert.«
»Also, mal angenommen, die Hortensii besitzen ein Haus und nehmen ein Darlehen auf, für das sie mit besagter Immobilie bürgen. Dann wiederholen sie das ganze – dasselbe Haus, aber ein neuer Geldgeber; und dann noch ein drittes Mal und immer weiter, so oft es geht. Sie suchen sich dazu einfältige Investoren raus, die nicht wissen – oder sich nicht danach erkundigen –, daß bereits frühere Schuldverschreibungen bestehen.«
»Das heißt, sie belasten das Haus zum vollen Wert mit Hypotheken, und das so oft, wie sie einen Dummen finden?«
»Na, jetzt dämmert’s doch endlich in diesem betrunkenen kleinen Hirn! Nächster Schritt: Die Hortensii kommen, wie du dir denken kannst, ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nach. Natürlich geht dabei das ursprüngliche Grundeigentum hops, was sie aber nicht juckt, denn sie haben schließlich ein Vielfaches des Gegenwerts in Form von Darlehen kassiert.«
»Aber was ist mit ihren Gläubigern, Petro? Können die sie nicht verklagen?«
»Die werden streng nach Reihenfolge abgefunden, angefangen mit dem ersten Vertragsdatum. Natürlich halten ein oder zwei sich schadlos, wenn das Haus unter den Hammer kommt; doch sobald der Verkaufspreis ausbezahlt ist, haben die übrigen Gläubiger ihren Anspruch verwirkt.«
»Was? Die sind überhaupt nicht abgesichert?«
»Sie sollten eben vor Vertragsabschluß Erkundigungen einziehen! Ihr Pech, wenn sie das nicht tun! Diese Art Betrug steht und fällt mit der Trägheit der Herren Spekulanten.« Petro hatte anscheinend nicht viel Mitleid mit den Geschröpften. Er selbst gehörte wie ich zu den Leuten, die sich noch die Mühe machten, sich gründlich zu informieren. »Erfahren habe ich das alles von einem syrischen Finanzier. Normalerweise schüttelt der bloß seine fettigen Ringellöckchen und läßt sich kein Wort aus der Nase ziehen, aber dieser Priscillus treibt sein Spielchen so unverfroren, daß alle auf dem Forum ihm gern ein Bein stellen würden. Und über die Hortensii hat mein Kontaktmann mich aus reiner Gehässigkeit aufgeklärt, weil er neidisch ist auf deren erfolgreiche Gaunerei mit diesen Mehrfachdarlehen. Von den berufsmäßigen Geldverleihern läßt sich natürlich keiner auf einen solchen Kuhhandel ein – aber auf dem freien Markt gibt es immer wieder Trottel, die sich von schlauen Sprüchen über raschen Profit und hohe Zinsen blenden lassen. Die Stammhändler an der Börse beklagen sich, daß die Hortensii ihnen das Geschäft verderben, und Priscillus macht mit seinen brutalen Methoden die ganze Grauzone nervös.«
»Und was würde passieren, wenn beide Imperien sich zusammentun?«
Petro zog eine Grimasse, als hätte er Zahnweh. »Davor zittern ja alle.«
Ich überlegte. Nun bekam ich allmählich eine Vorstellung davon, wo die Hortensii und Priscillus überall ihre Finger drin hatten. Eigentlich müßten von dem großen Kuchen alle Beteiligten satt werden – aber natürlich durfte man den Konkurrenzneid nicht vergessen, der jede Seite anspornte, immer noch mehr Profit zu machen als die andere. Die Armen lernen, sich nach der Decke zu strecken; die Reichen sind es, die den Hals nie voll kriegen.
»Danke, Petro, das hat mir sehr geholfen. Sonst noch was?«
»Höchstens, daß mein Gewährsmann meinte, wenn du dich mit Appius Priscillus anlegen willst, sollte ich dich fragen, wo du dein Testament deponiert hast.«
»Mama weiß Bescheid«, gab ich kurz angebunden zurück.
Er musterte mich gleichmütig. »Ich empfehle dir, einen Lederpanzer unter deiner Tunika zu tragen und einen Dolch in den Stiefel zu stecken. Wenn du Ärger kriegst, komm zu mir.«
Ich nickte. Er ging wieder auf seinen Posten; ich blieb sitzen und trank meinen Wein aus.
Ich würde nicht sagen, daß ich Angst hatte – aber sämtliche Härchen an meinem Körper standen in Habachtstellung.
Um eine Gänsehaut mit einer anderen zu vertreiben, ging ich zu Severina.
»Ich komme, wie versprochen, zum Rapport.«
»Wie geht’s meinem Papagei?«
»Nach dem, was ich so hörte, scheint Chloe sich häuslich einzurichten …« Ich beschrieb ihr, was der Vogel schon alles kaputt gemacht hatte, vermied dabei aber geflissentlich, sie darüber aufzuklären, daß es meine Wohnung war, aus der langsam Kleinholz gemacht wurde.
»Was haben Sie denn erwartet?« wehrte sich die Kupfervenus gereizt. »Chloe ist halt ein sensibles Mädchen. Sie müssen sie behutsam und allmählich an eine neue Wohnung gewöhnen!« Ich lächelte, dachte dabei aber nicht an Chloe, sondern an Helena Justina, die so lange gezögert hatte, ehe sie sich bereitfand, ihr Zelt an meinem Wasserloch aufzuschlagen. »Was grinsen Sie denn so, Falco?«
»Vielleicht muß ich das Vögelchen an einer Stange festketten.«
»Nein, bloß nicht! Wenn sie zu fliegen versucht, hängt sie dann womöglich hilflos zappelnd in der Luft!«
»Und ich dachte, Sie wollten den Vogel unbedingt los sein?«
»Das stimmt ja auch«, erklärte Severina. »Chloe war ein Geschenk von Grittius Fronto, und diesen unangenehmen Menschen möchte ich so schnell wie möglich vergessen.«
»Sie können ganz beruhigt sein! Ich habe Ihren Federwisch bei einer sehr tierlieben Person untergebracht, und ein Käfig ist auch schon da. Aber jetzt möchte ich mit Ihnen über richtige Raubvögel sprechen. Also setzen Sie sich hin, behalten Sie einen klaren Kopf, und kommen Sie mir ja nicht wieder mit dieser ›Ich bin doch nur ein ahnungsloses Frauenzimmer‹-Masche!« Ehe sie etwas einwenden konnte, schilderte ich in knappen Sätzen, was ich über Priscillus in Erfahrung gebracht hatte. »Das paßt zwar alles zu Ihrer Geschichte, beweist sie deshalb aber noch lange nicht. Erzählen Sie mir doch mal, was Sie über das Verhältnis zwischen Priscillus und Ihren Freunden vom Pincio wissen. Sie erwähnten neulich einen Streit, der durch das Bankett beigelegt werden sollte. Was war denn der Auslöser für dieses Zerwürfnis? Haben die Hortensii mit ihrem Hypothekenschwindel etwa auch Appius Priscillus aufs Kreuz gelegt?«
»Gut kombiniert!« rief Severina. »Hortensius Novus hat zwar immer behauptet, es sei ohne Grund zum Krach gekommen, aber einmal hat er Appius Priscillus tatsächlich reingelegt und ihn dazu gebracht, einen seiner Schwindelverträge zu unterschreiben. Aus Rache fing Priscillus dann an, die Familie zu bedrohen. Und Felix und Crepito, die nicht so couragiert sind wie Novus, wollten nun, um die Fehde endlich beizulegen, auf Priscillus’ Angebot eingehen und künftig mit ihm zusammenarbeiten.«
»Ich habe den Eindruck, bei diesem Pakt ging es um mehr als die Wiedergutmachung dafür, daß die Brüder Priscillus betrogen hatten! Ich glaube, Felix und Crepito wünschten sich eine Totalfusion – Mars Ultor, die könnten sie ja immer noch zuwege bringen und sich dann alle Wohnviertel Roms unter den Nagel reißen! Hat Ihr Novus sich diesem Plan widersetzt?«
»So könnte es gewesen sein«, gab sie zögernd zurück. Ich witterte rechtzeitig, daß sie wieder das harmlose Weibchen mimen wollte, und ließ die Frage auf sich beruhen. Ich hatte herausgefunden, daß man Severinas Spiel nur gewachsen war, wenn man selbst zuerst ein Feld vorrückte und sie so in Zugzwang brachte.
»Bleiben Sie zum Mittagessen, Falco? Ich suche dringend einen vernünftigen Gesprächspartner. Meine Freundin, mit der ich für gewöhnlich in die Thermen gehe, hatte keine Zeit, und dann fehlt mir mein Verlobter so sehr …«
Einen Moment lang vergaß ich, daß Severina jetzt meine Klientin war. »Keine Sorge!« Ich lächelte honigsüß. »Sie finden sicher bald einen anderen, der die Lücke ausfüllen wird.«
Offenbar hatte ihr Papagei mit seiner mutwilligen Zerstörungsorgie meine angeborene Toleranz verschlissen.
Ich hatte Sehnsucht nach Helena und brannte darauf, unser Verhältnis wieder zu kitten, indem ich ihr half, mit dem aufsässigen Vogel fertigzuwerden.
Auf dem Heimweg hatte ich tatsächlich das Gefühl, mit dem Fall voranzukommen. Zwar war das Dickicht noch längst nicht gelichtet: Ich hatte nach wie vor drei verschiedene Gruppen von Verdächtigen, und Motive gab es mehr, als eine Katze Flöhe hat. Allen gemeinsam war nur, daß sich bislang kein einziges beweisen ließ.
Trotzdem war ich guter Dinge. Meine jetzige Arbeit war doch sehr viel befriedigender als meine Missionen für Vespasian, die alle in einer Sackgasse endeten. Der Fall bot eine viel größere Herausforderung, und wenn es mir gelang, ihn zu lösen, würde ich nicht nur einen abgehalfterten Schweinigel von Politiker aus dem Sattel heben, dessen Verschwinden dem Mann auf der Straße ohnedies kaum auffallen würde; nein, hier galt es, Abschaum dingfest zu machen und vor Gericht zu bringen.
Einen von diesem Gelichter hatte ich anscheinend bereits aufgescheucht. Am Fuße der Treppe zu meiner Wohnung wartete ein Bote. Ein käsiger Jüngling, ein Stotterer mit einem Gerstenkorn, teilte mir mit, Appius Priscillus habe meine Nachricht erhalten. Falls ich mich mit ihm treffen wolle, erwarte er mich in einer halben Stunde auf dem Forum Julium.
Da blieb mir nicht einmal mehr Zeit, hinaufzuspringen und Helena Bescheid zu sagen. Ich dankte dem jungen Burschen (der sich zu wundern schien, wieso jemand für eine Verabredung mit Priscillus dankbar sein konnte) und machte mich schleunigst auf den Weg.
Ich wußte, daß Petronius mich vor so einem Alleingang gewarnt hätte, aber ich besaß ja mein Messer und mein Selbstvertrauen, die mir schon aus so mancher Patsche geholfen hatten. Außerdem ist das Forum Julium schließlich ein großer öffentlicher Platz.
Ich wollte mal wieder besonders schlau sein und schlüpfte durch die Curia und die großen Doppeltore im Hintergrund aufs Forum. Das wäre auch ein taktischer Vorteil gewesen – aber Priscillus war noch gar nicht da, und so hatte ich mich ganz umsonst angestrengt.
Alles schien ruhig. Ich hatte auf einer Seite die große öffentliche Latrinenanlage und auf der anderen die Ladenlokale: Von mir aus konnte es losgehen! Caesar hatte sein Entlastungsforum auf drei Seiten von einer doppelten Säulenhalle einfassen lassen; ich trat für alle Fälle hinaus auf den freien Platz.
Die braune Sänfte erschien fünf Minuten später. Sie kam von der Ostseite und machte auch dort, gleich unter dem Torbogen, halt.
Ich sah mich nach versteckten Meuchelmördern um, konnte aber keine verdächtigen Gestalten entdecken. Also schlenderte ich hinüber. Die Träger standen reglos, Blick starr geradeaus, und ignorierten mich. Vielleicht waren sie stumm oder blöd oder Ausländer – oder alles drei. Ich sah mich noch einmal um, nach links, nach rechts, dann trat ich näher. Als ich den glatten Ledervorhang zurückschlug, war ich bereits überzeugt, daß Appius Priscillus gar nicht in der Sänfte saß. Aber ich hatte mich geirrt.
»Steigen Sie ein!« befahl er.
XLIX
Es war, als wäre ich abermals auf eine Ratte getroffen: Mein Gegner bestand praktisch nur aus gefletschten Zähnen und stechendem Blick. Ich stieg ein, aber lieber hätte ich mich auf einen Kampf mit meinem Zellengenossen in den Lautumiae eingelassen. Niemand konnte Priscillus vorwerfen, daß er dem Luxus frönte. Seine dürre Gestalt verriet einen Mann, der viel zu geizig auf seine Zeit schielt, um mit Genuß zu essen. Er trug eine abgeschabte alte Tunika, an der es zwar nichts auszusetzen gab, die aber so jämmerlich schlabberte, daß sogar ich sie ausrangiert und einem Landstreicher geschenkt hätte (nur, daß die meisten Landstreicher, die ich kannte, modebewußter waren). Ein Barbier hatte kürzlich ein paar Übungsstriche über sein schmales Kinn geschabt, aber wahrscheinlich war es auch dazu nur gekommen, weil alle Geschäftsleute glauben, daß man auf einem Friseursessel die besten Tips aufschnappen kann. (Warum, weiß ich nicht; alles, was ich je dort abbekomme, ist ein Ausschlag.) Jedenfalls hatte Priscillus an seiner Toilette gehörig geknausert. Sein schütteres Haar war zu lang; seine Krallen gehörten gereinigt und geschnitten. Und ich konnte mir nicht vorstellen, daß sein Barbier je auf die Idee kam, ihm solche Kinkerlitzchen wie ein Fläschchen Zedernharz zu Verhütungszwecken anzubieten …
Priscillus war unverheiratet; jetzt wußte ich auch, warum. Nicht, weil die Frauen zu anspruchsvoll waren (die meisten würden schwarze Fingernägel in Kauf nehmen, wenn dafür so viel Bargeld winkte), aber diesem geizigen Zwerg, der kaum sich selbst am Leben erhielt, wäre es gar nicht eingefallen, obendrein noch einer Ehefrau Kost und Logis zu zahlen.
Obwohl wir nun zu zweit in der Sänfte saßen, legten die Träger ein phantastisches Tempo vor. »Wo soll’s denn hingehen?« fragte ich verblüfft, noch ehe ich mich vorgestellt hatte.
»Hab Geschäfte auf dem Campus Martius.« Nun, daß es sich um Geschäfte handelte, war mir ohnehin klar; dieser Mann würde seine Zeit nicht damit vergeuden, einen Tempel oder ein Gymnasium zu besuchen! »Sie sind also Falco. Was wollen Sie von mir?« Er schnaufte beim Sprechen, als wolle er seinen Atem genauso eifersüchtig hüten wie seinen übrigen mühsam zusammengesparten Besitz.
»Ein paar Antworten möchte ich, wenn’s recht ist. Ich arbeite am Fall Novus …«
»Und für wen arbeiten Sie?«
»Bezahlt werde ich von Severina Zotica«, antwortete ich pedantisch.
»Ganz schön dumm von Ihnen! Sie sollten mal Ihre eigene Klientin unter die Lupe nehmen, Falco!«
»Oh, vor der nehme ich mich schon in acht – aber unter die Lupe nehmen möchte ich zuerst Sie!« Es war eine mühsame Unterhaltung, denn die Träger rannten immer noch so schnell, daß jede Silbe, die wir über die Lippen brachten, kräftig durchgeschüttelt wurde. »Severina ist eine berufsmäßige Braut; sie hatte kein Motiv, Novus zu töten, bevor ihr der Anspruch auf sein Erbe sicher war. Sie, Priscillus, und die Hortensii kommen da als Verdächtige schon eher in Frage …«
In den Rattenaugen blitzte eine Drohung auf, die mich frösteln machte. »Verzeihung, aber ich halte mich nur an die Fakten: Was Ihre Fusion mit Felix und Crepito angeht, da sah es doch zappenduster aus für Sie – schließlich weiß ganz Rom, daß Novus einen solchen Zusammenschluß mit allen Mitteln verhindern wollte. Ach, warum war er eigentlich so dagegen?« Priscillus funkelte mich stumm an; ich beantwortete meine Frage deshalb selbst. »Er sah das Geschäft nicht als Fusion, sondern als Übernahme – durch Sie! Aber er war es nun einmal gewohnt, auf seinem Misthaufen den Ton anzugeben, und weigerte sich, künftig nur noch die zweite Geige zu spielen … die beiden anderen kratzte das dagegen wenig, denn die hatten ja immer schon in Novus’ Schatten gestanden …«
»Sie werden langsam lästig, Falco.« Priscillus pflegte jenen trägen Nuschelton, in dem Gangster ihre Drohungen vorzubringen pflegen. Er hätte genausogut irgendein verfetteter Gardist außer Dienst sein können, der mal eben die Straße überquerte, nur um mich vom Gehsteig zu schubsen.
»Dann helfen Sie mir.«
»Helfen Sie sich doch selbst!« fauchte er rüde. »Hier steigen wir aus.«
Wir waren weit draußen auf dem Campus, auf freiem Feld. Plötzlich packte mich das heftige Verlangen, im sicheren Schutz dieser Sänfte hockenzubleiben, auch wenn ich noch so durchgerüttelt wurde und achtgeben mußte, daß Priscillus’ spitze Knie mir keine blauen Flecken schlugen. Aber schon zog er den Vorhang zurück und stieg als erster aus. Beinahe wäre ich so töricht gewesen, mich dadurch beruhigt zu fühlen.
Ich stieg aus. Meine Vorahnung erwies sich als richtig. Aber wenn ich versucht hätte, mich drinnen festzuklammern, hätten die wartenden Phrygier die Sänfte einfach umgekippt und das Problem so gelöst, wie man eine Schnecke in ihrem Haus totstochert. Draußen erging es mir freilich nicht besser. Wir hatten mitten auf einem Exerzierplatz haltgemacht, und sie trugen jeder einen Wurfspieß. Die Speerspitzen, die keine Übungskappen trugen, waren blanker, scharfer Noricum-Stahl – und wenn ich scharf sage, dann meine ich scharf! Als ich aus der Sänfte krabbelte und mich aufrichtete, war ich gleich so dicht von ihnen umringt, daß ich mir bei der geringsten Bewegung das Fell aufgeschlitzt hätte.
Ich wagte keinen Mucks. Eine Speerspitze streichelte meine Luftröhre. Sollte ich den Mund aufmachen, hätte sie mir die Kehle durchbohrt.
Heutzutage ist das Marsfeld ziemlich dicht bebaut, aber es gibt immer noch ein paar öde Flecken. Und auf so einem standen wir. Ein trockener Wind vom Fluß blies mir durch die Locken, kühlte jedoch kaum meine schwitzenden Arme. Ein paar Reiter kanterten vorbei, waren aber zu weit entfernt, als daß sie den Überfall hätten erkennen können, selbst wenn sie bereit gewesen wären, einzugreifen.
Keiner der Phrygier sprach mit mir. Sie waren zu acht: Man wollte kein Risiko eingehen. Es waren Leichtgewichte, aber drahtig und durchtrainiert. Sie hatten hohe Wangenknochen, und ihre Gesichter unterschieden sich nur durch diverse alte Narben. Fremdlinge aus den Bergen Innerasiens; vermutlich direkte Nachkommen der Hethiter – deren Ruhm auf ihrer Grausamkeit gründete.
Zuerst machten sie mich müde. Spielerisch schubsten sie mich bald hierhin, bald dorthin. Einige nahmen ihre Speerspitzen fort; andere stießen mich darauf zu; kaum torkelte ich auf Zehenspitzen vor dem neuerlichen Angriff der ersten Wurfspieße weg, da knuffte man mich schon wieder von der anderen Seite. Erschlaffendes Interesse meinerseits wurde durch einen warnenden Tritt korrigiert. Zuviel Engagement war nicht minder strafbar. Und die ganze Zeit war uns allen klar, daß ich auf eine Chance zum Ausreißen lauerte – dazu würde ich allerdings einen langen Spurt hinlegen müssen. Und selbst wenn ich den Phrygiern ausbüchsen könnte, würden ihre Wurfspeere hinter mir herfliegen …
Das Signal zum Angriff mußte von dem Mann hinter mir gekommen sein. Er packte mich. Die anderen ließen ihre Waffen fallen. Und dann begannen sie ein neues Spiel – reihum warf mich einer dem anderen zu, und dabei mißhandelten sie wahllos jeden Körperteil, den sie zu fassen kriegten. Freilich nicht zu arg: Sie wollten den Spaß möglichst lange ausdehnen. Es gelang mir zwar, zappelnd und strampelnd ein paar Gegenschläge zu landen, doch davon wurde das Hohngelächter nur lauter und die Vergeltung unbarmherziger. Der ohnmächtige Zorn brannte mir immer bitterer im Mund.
Inzwischen wußte ich, daß Priscillus mich nicht umbringen lassen wollte, denn dann hätte er seinen Folterknechten befohlen, mir ohne Federlesens die Kehle durchzuschneiden und den Leichnam auf freiem Feld liegenzulassen, wo die ersten Reiter ihn am nächsten Morgen steif und klamm vom Flußnebel gefunden hätten. Ich aber sollte nach dieser Abreibung noch imstande sein, jeden, der Priscillus zu scharf ins Visier nahm, vor den Folgen zu warnen, die demjenigen bevorstanden, der dem mächtigen Mann in die Quere kam.
Am Ende dieser Tortur würde ich also noch am Leben sein.
Vorausgesetzt, die Phrygier hielten sich strikt an ihre Befehle und waren gut genug geschult. Andernfalls sah ich eine reelle Chance, daß sie mich aus Versehen abmurksten.
L
Für einen Schlägertrupp waren sie recht ordnungsliebend. Sie brachten mich dahin zurück, wo Priscillus mich aufgelesen hatte – aufs Forum Julium. Als ich wieder zur Besinnung kam, erkannte ich das Reiterstandbild des Diktators. Seine Gnaden blickte hochmütig auf die Welt, die er erobert hatte – versäumte allerdings, von mir Notiz zu nehmen.
Ich kroch auf allen vieren, ohne zu wissen, wohin, da mir alles vor den Augen verschwamm. Als ich an die Treppe stieß, hielt ich sie für den Eingang zum Tempel der Venus Genitrix.
Auf den Stufen brach ich ohnmächtig zusammen.
Als ich das nächste Mal zu mir kam, blickte ich hoch und fand mein imponierendes topographisches Wissen bestätigt. Hier war das hohe Podium, auf dem ich ausgestreckt lag, und dort oben waren die herrlichen korinthischen Säulen. Falls ausländische Besucher sich herabgelassen hätten, mich nach den Sehenswürdigkeiten des Tempels zu fragen, hätte ich ihnen sagen können, daß sie drinnen schöne Statuen von Venus, Caesar und der jugendlichen Kleopatra finden würden sowie zwei hinreißende Porträts des Timomachos von Byzanz, die Ajax und Medea darstellen. Und dann konnten sie noch in ihrem Reisetagebuch vermerken, daß sie draußen, vor dem Tempel, den etwas weniger glorreichen Privatermittler M. Didius Falco gesehen hatten, der so schaurig krächzend um Hilfe rief, daß kein Passant sich traute, ihm Beistand zu leisten.
Gute Arbeit, Falco. Wenn du deinem Ruf schon Schande machen mußt, dann wenigstens auf den Stufen eines weltberühmten Tempels am schönsten Forum von Rom.
Ein Priester kam heraus. Er gab mir einen Tritt und ging rasch weiter. Wahrscheinlich hielt er mich für einen der Bettler, die notorisch auf den Treppen unserer Tempel rumlungern.
Stunden später kam er von seinem Botengang zurück. Inzwischen hatte ich mich präpariert. »Im Namen des heiligen Julius, helft mir, Vater!«
Ich hatte richtig kalkuliert: Die meisten Priester sind empfänglich für eine Bitte im Namen des Schutzpatrons, dem sie ihren Lebensunterhalt verdanken. Vielleicht fürchten sie auch, ein Steuerprüfer könnte sich als Bettler verkleidet haben, um so an die Tempelbücher zu gelangen.
Nachdem ich ihn erst einmal zum Stehen gebracht hatte, geruhte der Priester, meinen verbeulten Kadaver von seiner vormals fleckenlosen Marmortreppe zu räumen und in eine Sänfte zu packen, die Petronius bezahlen würde.
Den Aufruhr, den meine blutige Ankunft hervorrief, verpaßte ich, da ich schon wieder ohnmächtig war. Ein guter Trick, wenn man ihn richtig drauf hat. Spart Ärger und Aufregung.
Es war nicht das erste Mal, daß ich mich bei Petronius abliefern ließ wie ein Proviantpaket, das zu lange in der Mittagsglut geschmort hat. Aber nie zuvor hatte man mich so gründlich und gekonnt zu Brei geschlagen.
Zum Glück war er daheim. Und auch mir dämmerte langsam, daß ich mich bei Petro und Silvia befand. Silvia schmorte Fleisch. Wie eine Legion im Exerzierstechschritt trampelten ihre Töchter direkt über unseren Köpfen durchs obere Stockwerk. Eins der Kinder spielte, um die Pein noch zu erhöhen, auf einer quietschenden Flöte.
Ich spürte, wie Petronius mir die Tunika aufschnitt; ich hörte ihn fluchen und auch, wie meine Stiefel mit dumpfem Geräusch in einem Eimer landeten; ich roch das vertraute Duftgemisch, das Petros geöffneter Hausapotheke entströmte. Ich ließ mir kaltes Wasser einflößen, das gegen den Schock wirken sollte. Ich schluckte ein paar Tropfen einer scharfen Medizin, von der freilich das meiste danebenfloß und mir über die Brust tropfte. Danach kam es eigentlich nicht mehr darauf an, ob ich bei Besinnung war, während er an mir herumfuhrwerkte; und so sackte ich denn die meiste Zeit weg.
Er war so klug, mir den Schmutz und das geronnene Blut abzuwaschen, ehe er seiner Frau erlaubte, Helena zu holen.
LI
Ich war nicht fähig, mit ihr zu sprechen.
Sie sagte auch nichts. Nur der Druck ihrer Hand auf der meinen veränderte sich minimal. Zwar bekam ich die geschwollenen Lider kaum auf, aber sie erriet offenbar den Moment, da ich erwachte. Obwohl vom grellen Licht geblendet, konnte ich sie doch sehen: ihre vertraute Silhouette; den Umriß ihrer Frisur – sie hatte sich das Haar hoch- und mit Buchsbaumkämmchen über den Ohren festgesteckt. Ihre Haare waren zu weich; der linke Kamm rutschte immer tiefer als der rechte.
Ihr Daumen streichelte behutsam meinen Handrücken; wahrscheinlich, ohne daß es ihr bewußt war. Ich konzentrierte die Atmung ganz auf meinen linken Mundwinkel, und mir gelang ein unverständliches Lallen. Sie beugte sich vor. Irgendwie machte sie die einzige Stelle in meinem Gesicht aus, die nicht schmerzte, und hauchte einen sanften Kuß darauf.
Sie ging. Aberwitzige Panik ergriff mich, bis ich ihre Stimme hörte. »Er ist aufgewacht. Danke, daß Sie sich so lieb um ihn gekümmert haben; jetzt komme ich schon zurecht. Ob Sie mir wohl eine Trage für ihn besorgen könnten?« Petros hünenhafte Gestalt verdunkelte den Eingang; er beteuerte, es sei das beste, mich hierzubehalten. (Er dachte, Helena sei zu vornehm für die Pflege, die ich fürs erste brauchen würde.) Ich schloß die Augen und wartete – auf die gewichtige Stimme des Besitzanspruchs. »Petronius Longus, ich bin durchaus imstande, für ihn zu sorgen! Schließlich bin ich kein Schulmädchen, das zum Spaß mit Puppengeschirr hantiert und Hausfrau spielt!«
»Dich hat’s wirklich knüppeldick erwischt, Falco!« sagte Petro lakonisch. Was er meinte, war: Erst diese schmerzhafte Abreibung von Priscillus und nun noch diese Xanthippe, die über mich bestimmte und meine Freunde herumkommandierte.
Ich konnte bloß daliegen und abwarten, bis Helena durchgesetzt hatte, wozu sie wild entschlossen schien. Aber war sie der Situation wirklich gewachsen? Petro fand, nein. Und was dachte ich? Helena Justina wußte auch das. »Lucius Petronius – Marcus will, daß ich ihn heimhole!«
Petro grummelte leise ein paar Flüche; dann tat er, was sie von ihm verlangte.
Bis nach Hause war es nicht weit, aber dort angekommen, weigerten sich die Träger, mich nach oben zu schaffen. Also wankte ich auf eigenen Füßen hinauf. Alle drei Treppen. Ich hatte ja keine andere Wahl.
Als ich wieder richtig zu mir kam, lehnte ich an der Wand meines Schlafzimmers. Helena blickte kurz zu mir herüber, dann machte sie weiter mein Bett zurecht. Silvia hatte ihr ein altes Laken mitgegeben, damit ich mein eigenes gutes Leinzeug nicht mit Blut vollschmierte. Frauen sind ja so praktisch.
Ich sah zu, wie Helena hantierte, mit flinken Bewegungen und so planvoll durchdacht, daß alles rasch fertig sein würde. Nicht rasch genug.
»Ich kippe gleich um …«
»Ich fang dich auf …«
Auf Helenas Versprechen war Verlaß. Mit einem einzigen Satz war sie bei mir. Den Göttern sei Dank für kleine Räume.
Ohne zu wissen, wie ich dorthin gekommen war, fand ich mich auf dem Bett wieder. Ich roch das Blumenparfum, das heutzutage anscheinend alle Frauenbäder benutzten. Was mich wieder zu mir gebracht hatte, waren die flinken Hände, die mich aus dem Mantel schälten, in den Petro mich für den Transport gewickelt hatte. Darunter trug ich nur Verbände.
Helena hielt den Atem an. »O je! Um das zu kurieren, braucht es mehr als eine heiße Suppe für innen und einen Bohnenbrei-Umschlag von außen … Hör zu, Marcus, ich seh deine Manneszier zwar nicht zum ersten Mal, aber ich kann dich auch zudecken, wenn du dich genierst.«
»Vor dir nicht.« In meinen eigenen vier Wänden hatte ich mich wieder soweit erholt, daß ich ein paar Worte stammeln konnte. »Du weißt alles über mich; ich weiß alles von dir …«
»Bildest du dir ein!« murmelte sie, aber da entglitt ich schon ins Delirium; jedenfalls lachte ich viel zu unbändig für einen vernünftigen Menschen.
Als sie sich niederbeugte, um mir die Kissen zu richten, schlang ich die Arme um sie. Helena schnaubte mißbilligend. Sie wehrte sich, schon aus Prinzip, aber vor lauter Angst, mir dabei weh zu tun, verpaßte sie die Chance zur Flucht. Weiter brachte ich zwar nichts zuwege, aber ich ließ sie auch nicht wieder los. Sie ergab sich; nach einem harmlosen Gerangel, das aber nun andere Gründe hatte, hörte ich ihre Sandalen zu Boden fallen, dann nahm sie die Ohrringe ab. Ich hielt sie mit beiden Armen umschlungen und dämmerte langsam weg. Sie lag ganz still; wenn ich aufwachte, würde sie immer noch dasein und warten. Hätte ich gewußt, daß weiter nichts nötig war, um sie wieder in mein Bett zu kriegen, dann wäre ich schon längst losgezogen und hätte mich von irgendeinem Brutalo zusammenschlagen lassen.